Sonntag, 3. Februar 2013

Sansepolcro

Das Hotel Diario hat wohl lange keinen so hungrigen Frühstücksgast erlebt. Mit knurrendem Magen mache ich weite Teile des üppigen Buffets nieder und starte trotz dicker Lippe (nachts mit einem speziellen Saft behandelt) wundersamerweise in bester Stimmung aus dem Hotel, das alljährlich einen Tagebuchwettbewerb ausruft. In PiSS (so habe ich den Ort meines Tiefpunktes mit den Initialen abgekürzt) besorge ich noch einigen Proviant, da die heutige Etappe lange durch die "Wildnis" führt, bevor im Tibertal wieder eine Möglichkeit zum Ausgleich des Zuckerspiegels auftaucht. 24 km liegen heute vor mir.

Der morgendliche Trubel in PiSS nervt, an der Kasse anstehen, Sucherei, Gedränge, Hast  und andere Zivilisationskrankheiten. Den Besuch der Farmacia schenke ich mir, da die Lippe tatsächlich eine Blitzheilung hinlegt, so sage ich addio zu PiSS, wende mich Richtung Val Tiberina und genieße bald dankbar den malerisch einsamen Weg, der trotz der Nähe zur Superstrada intensiv an den Bayerwald erinnert. Erinnerungen an die endlosen und tiefgreifenden Gespräche über "Eingemachtes" mit Robert werden wach, noch kurz vor meiner Abreise hatten wir uns über meinen geplanten Berufswechsel auf einer kleinen Bergtour unterhalten. Interessanterweise half mir vor allem weiter, mir selbst im Gespräch zuzuhören, wie ich die Gründe und Motive der Idee eines Umsatteln auf das Heilwesen erörterte. Er konnte sich auf kleine praktische Tipps beschränken - ein gutes Vorbild für die therapeutische Arbeit, schätze ich.

Da muss ich durch...
Endlich wieder auf dem Weg
Kees beschreibt eine Route mit zweimaligem Überwinden eines fies grinsenden Stacheldrahtzaunes, laut warnender Hinweise über Privatgrund und kaum markiert. Wohl der heutigen Streckenlänge geschuldet, denn der CAI-2 scheint laut Generalkarte in weitem Bogen um dieses Gebiet herumzuführen. Ich werde mich wohl doch besser a presto mit den GPS-Fähigkeiten meines Handys beschäftigen. Detailkarten von dieser Gegend konnte ich bislang nirgends auftreiben. Ich entscheide mich, Kees zu folgen. Eine kleine Abkürzung, kurz nicht aufgepasst - schon stehe ich im Wald und weit und breit keine der erwähnten Orientierungszeichen mehr zu sehen. Ein Stunde irre ich durch das Buschwerk umher, bis ich das andere Ende dieses Abschnittes und das vertraute rot-weiße Zeichen wieder finde. Die Angstpartie des Tages. 

Sieht harmlos aus, ist es aber nicht
Nette Villa am See















Der Aufstieg zum Stausee von Montedoglio führt mitten durch stachlig-struppiges Buschwerk, erstmals werden Kletterkünste verlangt. Die Aussicht über den See entschädigt mich für die Kratzer an den Händen, ein idealer Platz für eine kurze Pause. Die Wolken Richtung Tibertal mahnen mich zu einem baldigen Aufbruch, gute Idee - der Weg hinunter entlang den Telefonmasten weist direkt auf immer dunklere Wolken und verlangt mir alles an Balancierkünsten ab - es geht nur im Schneckentempo bergab. 

Die Bodenrillen im karstigen Boden gleichen Gletscherspalten. Wie zum Hohn ist ein Motorradfahrer die Strecke offenbar kurz vorher gefahren -  wohl ein Trial-Profi, da ich kaum zu Fuß und mit Stecken einen Schritt machen kann, ohne exakt auf den Weg zu achten. Eine Gangart, die mich dann doch an meine Arbeit im örtlichen Pfarrgemeinderat erinnert. Im Diario schrieb mir Mecki abends noch, dass sie ihre Arbeit dort aufgeben will, anscheinend steckt sie gerade auch in einer Sinnkrise. Mal sehen, was Harald, unser ambitionierter Pfarrer, dazu sagt.

Nach dem Abstieg erweist sich der Rest der Strecke durch das Tibertal entlang von Tabakfeldern als etwas langweilige Nordic-Walking-Tour. Wie es so meinem Naturell entspricht beschleunige ich mit vollem Stockeinsatz immer mehr - in Vianio ist dann Schluss mit dem Sprint, weil meine Lowas für solchen Wanderfrevel nicht gebaut sind. Die nächsten Kilometer senke ich (in den stinkenden Merrells) das Tempo und muss wegen schmerzender Ferse die letzten beiden Kilometer nach Sansepolcro im Bus zurücklegen, auch weil ich keine Lust auf die von Kees beschriebene Tiberdurchquerung bei acqua alta  habe.

So checke ich spätnachmittags im putzigen Albergo Fiorentino ein und stromere mit wachsender Begeisterung durch die mittelalterliche Stadt. Bald beschließe ich, morgen hier zu bleiben und das Kloster Montecasale anstatt einer Zwischenstation als Tagesausflug ohne meinen schweren Zaino zu besuchen. Und überraschenderweise bringt der Entschluss, von der vorgegebenen Route abzuweichen und einen Teil mit dem Bus zurückzulegen, diesmal kein schlechtes Gewissen mit sich, sondern nur Erleichterung und Zufriedenheit.


2 Kommentare:

  1. Lieber Adam,
    vielen Dank für die wieder genialen Fotos!
    Ich hoffe, du hast deinen Tag in Sansepolcro und beim Kloster Montcasale genießen können. Manchmal ist es einfach wichtig, mal vom Plan abzuweichen (musste ich mir, denke ich, hier und jetzt gerade selber sagen...)
    Ein bisschen hat mich dein Blog heute schon zum Schmunzeln gebracht - ein Adam, der, kaum führt der Weg mal nicht durch tiefes Buschwerk oder erfordert höchste Konzentration bzw. gute Kletterkünste, die Strecke als langweilige Walkingtour bezeichnet......

    Gute Besserung für deine Ferse, schlaf gut, schlafloser Pilger, lG Ka

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  2. Ich wünsche Ihnen viel Glück planen Ihren nächsten Urlaub!

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