Montag, 4. Februar 2013

Montecasale mit Lucas&Lumpi

Sansepolcro-Impression
Dennis, mein Teenager-Sohn (der nun bei seiner Mutter lebt, nachdem er Jahre allein mit mir verbrachte), sendet mir in der Nacht wohl während einer Playstation-Pause ein anrührendes Mail. Nur eine kurze Nachricht als Antwort meiner Abschiedsmail, aus der aber zum ersten Mal seit langem Interesse an dem spricht, was sein abwesender Papa so treibt. Ich spüre, dass sein "Hab Dich lieb"-Abschiedsgruß mich stärkt wie bedächtiges Gießen eine austrocknende Pflanze. Beim Frühstücken treffe ich Cathy und Claas, ein relaxtes Paar aus Australien, die Ihren (Un-)Ruhestand ein Vierteljahr lang mit einem "Europe-Trip by car" ausleben. Eine edle Art, die Zeit nach der Maloche zu verbringen.

Trend: Mutter mit Zwillingen
Paola aus dem Fiorentino stellt mir eine kleine Liste mit "must see" Spots in ihrem Heimatort zusammen. Gut geführt starte ich den Tag im museo civico, das stolz die Werke Pietro Francosas präsentiert, einem der berühmten Söhne Sansepolcros. Im Keller des Museums bestaune ich alte Türschlösser - ob heutzutage noch jemand in der Lage wäre, solche Handwerkskunst zu betreiben oder gar weiterzugeben? War einmal essentiell, nun lediglich interessantes Altmetall von touristischem Interesse. Vermutlich sahen die Leute bei xXx meine Fähigkeiten ähnlich, statt Glaskasten gab´s dann ein abruptes Addio. Loslassen in Würde ist auch eine Kunst. 
  
Aufkeimende trübe Gedanken bekämpfe ich mit einem zweiten colazione, gefolgt von einem eher erfolglosen Besuch im Bergsportshop - keine Teller, nicht mal Wanderstecken zum Zeigen, was ich meine. Aber die Unterhaltung mit der stylishen Verkäuferin klappt schon soweit, dass wir beide die Sinnlosigkeit meines Ansinnens erkennen können. Die Bergsport-Bella erschrak bei meinem Eintritt im Franziskus-Look sichtbar (Ein Irrer? Ein Bettler? Beides?), so dass ich mich zurück im Fiorentino rasiere und den mützenwirren Haarschopf wieder in Ordnung bringe.

Derart bergfein (ein Oxymoron?) mache ich mich nach einer Antwort an Dennis auf den Weg zum nahen franziskanischen Kloster Montecasale auf dem Berg hinter Sansepolcro. Ohne Rucksack und in den Laufschuhen renne ich fast durch die triste Vorstadt von Sansepolcro, wo mir hinter jedem Zaun wütendes Hundegebell "Hau ab!" zuzurufen scheint. Aber vielleicht verstehe ich die Sprache der Hunde doch nicht so gut, wie mein Pilgermentor Franziskus. Nach einem Irrgang von einem halben Kilometer (meine selbst geschriebenen direzione hatte ich nicht richtig gelesen) gesellt sich Lumpi zu mir, ein schwarz-weißer irischer Setter. Er begleitet mich bis hoch zum Kloster, dabei die Strecke durch endlose Kreise vervierfachend. Anscheinend macht er das öfter - er kennt alle Abzweiger zum Kloster hinauf. Wollten seine Kumpels von vorhin auch mit? Tierkommunikation ist ein weites Feld.

An einem der Kreuzungspunkte holt mich Lucas ein, wie sich herausstellt ein belgischer Profi-Pilger, gerade in Holland lebend. Beide dachten wir, dass Lumpi jeweils zum anderen gehört und so kommen wir ins Gespräch - natürlich spricht er fast perfekt deutsch. Auch er war auf der Via Francigena unterwegs, zeitweise in Begleitung seiner "Freundin" Mona (es ist kompliziert). Am Morgen kam er mit dem Zug aus Rom zurückkehrend an und will nun sein Auto holen, auf das die Frati in Montecasale derweil aufgepasst haben.

Mit seinen schulterlangen blonden Haaren, Tauzeichen um den Hals, cooler Feldflasche am Gürtel und Nikolaus-Pilgerstab scheint er dem Pilger-Handbuch entsprungen und rennt ohne merkliche Anstrengung in einem Höllentempo den Weg zum Kloster hoch. Lumpi und ich folgen schwitzend. Wie schon in La Verna wandelt sich die Natur kurz vor Montecasale dramatisch - was vorher wild und unberührt schien, ordnet sich nun und strahlt meditative Ruhe aus. Lucas meint, dies würde durch die jahrhundertelange Tradition des Gehens, Wirkens und Betens der Kapuziner in der Natur bewirkt. Mit Heerscharen von Gärtnern aus Billiglohnländern ist dieser Effekt bestimmt nicht zu erreichen.
Franz blickt in meine Reiserichtung
Bulli - ein in romualdischer Einfachheit ausgebauter T2-Bus - wartet wohlbehalten auf dem Parkplatz. Während mein verbliebener Mitpilger (Lumpi haben die Klosterhunde vertrieben) den Mönchen einen Reisebericht gibt, erkunde ich das Kloster. Aber auch hier und ohne Menschenmassen kann ich kein tieferes Echo in mir wahrnehmen. Wie ein Tourist besichtige ich Kapelle und zugängliche Räume und verzweifle fast, dass sich die Vorfreude am Zielort angekommen schon wieder in Fremdheit und Widerstand gegen kirchliche Strukturen verwandelt. Nachdenklich treffe ich am Ausgang Lucas wieder. Er bietet mir an, mit ihm zurück nach Sansepolcro zu fahren - klar will ich.

Unterwegs erzähle ich ihm von meiner neu entdeckten Leidenschaft des meditativen Singens. Virtuos legt Lucas daraufhin eine CD mit dem rezitierten "Gayatri-Mantra" ein, auch ohne Musik eine packende Fassung dieses Gebets. Und so laufen zwei franziskanische Pilger getragen von hinduistischem Gebet in der Pizzeria ein, wo Lucas seinen Rucksack abgestellt hat. Obwohl er mehr spanisch als italienisch mit den Besitzern redet, kann er sich prima verständigen - nicht eifrig gelernte Vokabeln (ein Reflex aus meiner angeblich humanistischen Schulbildung), sondern vor allem das Überwinden von Blamage-Ängsten scheinen der Schlüssel zur Kommunikation im Ausland zu sein. Sollte ich mal mit meinen slowenischen Verwandten versuchen - meine Schwester praktiziert dies erfolgreich.

Der Abend mit Lucas in Sansepolcro wird zu einer Tour durch die diversen Kneipen der Stadt, wo wir bis zum Rausschmiss unseren Erzählungen lauschen und jede Menge Rotwein trinken. Mein Begleiter ist unfassbare Strecken gewandert, quer durch Europa bis zum Ararat und zurück (!), bis ihn in Griechenland ein Hund biss (das wollte ich nicht hören). Dazu Wandertouren in Vietnam, Afrika, Island und Schottland und  - natürlich - auf diversen Routen des Cammino de Santiago. Mit einem Job als Gartenbaubeauftragter einer Behinderteneinrichtung hat er eine Möglichkeit gefunden, diese Reisen zeitlich und finanziell einzurichten, ein richtiger Pilger-Junkie, der es nicht allzulange daheim aushält. Ob auch mir dieses Schicksal blüht? Schwer vorstellbar mit meinem Setting von Sicherheitsdenken und Harmoniesucht. Lucas und seine Freundin träumen davon, ein Pilger-Refugio irgendwo auf der Via Francigena aufzubauen, da beide diesen Weg als "kommende" Pilgerroute sehen. Faszinierende Idee, doch ich zweifle, ob Lucas angesichts der vorbeiziehenden Pilgerscharen einer neuen Herausforderung lange würde widerstehen können.

Gegen 23 Uhr nehmen wir schweren Herzens Abschied, Lucas schläft im Bulli und will gleich frühmorgens los an die Adria, um dann später in Südtirol Mona wieder zu treffen. Buon viaggio, Lucas! 


2 Kommentare:

  1. was ist das hier für eine technik?

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  2. Lieber Adam, spannend deine Reise mitzuverfolgen. Themen, die dich am Glücklichsein, am Freisein hindern, nimmst du natürlich überall mithin. Auf deiner Reise hast du Gelegenheit ihnen zu begegnen, sie zu erfahren, sie wahrzunehmen. Mehr braucht es nicht, auch wenn du meinst, du solltest sie überwinden, transformieren...
    Beim Lesen deiner inneren und äußeren Pilgerreise, wird mir das erst klar. Und übertragen auf meine viel diskutierte Sinnkrise, werde ich das ausprobieren, ihr begegnen.... Bei mir regt sich grade heftigster Widerstand gegen kirchliche Strukturen, und Ärger, den ich erst auf dein
    Hinschmeißen projiziert habe, lässt mich die Ursache erkennen...die Struktur regt mich auf , eng ,starr, träge, steht im Widerspruch mit der Lehre Jesus, die fühlt sich leicht und frei an.
    Neid, Blamage-Ängste, was für große menschliche Themen!! Genießen..Mecki..

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