Freitag, 1. Februar 2013

Auf nach La Verna

Aufstieg nach Frassieta
Die kleine Feier gestern abends beschert mir eine weitere schlaflose Nacht, erst gegen Morgen dämmere ich weg, bis mich die Sonne um halb neun weckt. Ich bin spät dran. Das typisch italienische Hotelfrühstück beansprucht nur kurz meine Aufmerksamkeit und so sprinte ich um halb zehn los - die Sonne scheint, wärmt und trocknet die klamme Ausrüstung und Pilgerseele.

Wohl keine Kamera wäre in der Lage, die unfassbar schönen Lichtspiele auf dem Weg nach Frassieta so aufzunehmen, wie sie mir beim steilen Aufstieg geschenkt werden. Die tief hängenden Wolken verstärken das milde Sonnenlicht, das die Wälder nach den Regengüssen der letzten Tage beinahe liebevoll wieder trocknet. Die Wege werden da noch etwas warten müssen - der harte Aufstieg über steile, schlammige Pfade und die beiden Nastro Azzuro von gestern bringen mich so ins Schwitzen, dass die Brille anläuft wie die Scheiben meines alten VW Käfer. "Ubi caritas...". Trotz des immer schwerer empfundenen Rucksacks packt mich dazu sportlicher Ehrgeiz und ich versuche zwei Wanderer einzuholen, die ich vor mir eher höre als sehe. Die relaxten Genusswanderer erinnern mich sehr an Robert und mich im Bayerwald in einer mediterranen Variante. Sie grüßen mich freundlich, als ich dampfend vorbeiziehe und widmen sich gleich wieder ihrem intensiven Gespräch. In diesem Moment spüre ich, wie Neid mich überfällt und mir die selbst gewählte Einsamkeit hart zusetzt. Ich bin noch vollkommen im Modus des Getriebenen, die beiden sind mir da wohl weit voraus.

Das Kircherl von Frassieta
In Frassieta ist der versprochene Wasserhahn trocken, der Kanister daneben wenig vertrauensvoll, daher muss mein Durst bis Rimbochi mit der kleinen Ration aus dem Albergo Giardino gestillt werden. Das Gebell der nun mehr fast allgegenwärtigen Hunde beunruhigt mich zutiefst. Meine Bedenken beim Pilgern galten vorher Schuhen, Rucksack und tibialis anterior - alles "Pillepalle" im Blick auf meine Hundeangst. So packe ich wild entschlossen meine Wanderstecken fester und mache mich auf den Weg nach Rimbochi. Den ersten Aufreger des Tages liefert dann eine Wildsau, die von der dauerbellenden Hundemeute aufgeschreckt wie eine kleine Lokomotive kurz vor mir den schmalen Weg kreuzt. Der Boden vibriert, das Unterholz knackt und mit unfassbarer Physis donnert das Viech vorbei, die Augen weit aufgerissen. Mein Gesichtsausdruck war wohl ähnlich. Ausweichen war nicht vorgesehen. 

La Verna in der Ferne, Wildsauspur quer voraus
Der Hügel von La Verna schiebt sich schon leicht wolkenverhangen und weiter entfernt, als erhofft, in den Blick. Mein erstes "richtiges" Ziel dieser Pilgerreise, die Legenden um die Wundmale des heiligen Franz befeuern seit einiger Zeit meine mystischen Phantasien. Zu gern hätte ich heute in der foresteria übernachtet, doch ein freundliches Mail von Sr. Priscilla teilte mir mit, dass wegen eines Jungendtreffs kein Platz mehr frei sei. Schade, ich muss in den Ort unterhalb ausweichen.




perfekt markierte Wege im Casentino
Rimbochi begrüßt mich mit mittäglicher Schläfrigkeit, es gibt den von Kees versprochenen Wasserhahn mit köstlichem acqua potabile. Die Sonne trocknet die Merinoklamotten im Nu, so kann ich mich von dem Wildschweinerlebnis mit einem Panino aus dem Laden erholen. Mir wird bewusst, wie wenig ich in den letzten Jahren in der Natur unterwegs war. Die Jagd war mir schon immer fremd - hier und jetzt scheint sie für die Bevölkerung des Casentino zentrales Thema zu sein. 

Das Geballer ringsherum begleitet mich ebenso wie dauerndes Gebimmel von den Glöckchen, die (wilde? freilaufende?) - Entschuldigung - Köter um den Hals tragen. Abgelenkt werde ich beim brutal steilen Anstieg auf den P. Montopoli von einer spannenden Bachdurchquerung; die von Kees empfohlenen Plastiktüten bis zum Knie leisten perfekte Dienste, so dass ich trocken "drüben" ankomme. 

Verzauberter Wald kurz vor La Verna
Der abschließende Aufstieg zum Hügel von La Verna verlangt dann alle Kraft und Konzentration - der Pfad ist steinig, voller modriger Blätter und "Baatz". Ohne Stöcke und die Lowas wäre das ein langer Tag unterwegs geworden. Kurz vor dem Ziel verwandelt sich der eher ungepflegte Forst  in eine mystisch anmutende Landschaft voller tiefgrüner, Moos überwucherter Felsbrocken. Als sich der Wald immer mehr zu einem freundlichen Park mit angelegten Wegen entwickelt, lerne ich Raul kennen. Ein angriffslustiger schwarzer Bursche, dem man nicht den Rücken zudrehen darf. Ungerührt von den verzweifelten Rufen seines Herrn geht er mit vollem Tempo auf mich los. Wie ein Torero hebe ich meinen unbetellerten Stecken und bin zu allem bereit. Im letzten Moment versucht Raul da seinen Angriff abzubrechen, was durch den nassen Untergrund in Wegrutschen und Überschlag endet. Ich muss wohl auch ziemlich geschrieen haben, meine Kehle ist ganz wund. Herrchen erzählt mir totenblass und in englisch Hundehalterlatein (Hat er noch nie gemacht, will nur spielen usw). Mit einem ebenfalls lateinischen "pax et bonum" lasse ich ihn und Raul stehen, nicht ohne ein waches Auge und Ohr rückwärts zu bewahren...

Keine Seele vor dem Eingang
Keuchend erreiche ich voller Herzklopfen La Verna und bin nach dem langen Tag alleine etwas geschockt von den Menschenmassen dort. Zwar finde ich auch einige stille Flecken, aber nach kurzem Besuch der Stigmata-Kapelle und des Ladens mache ich mich auf den Weg hinunter nach Chiusi della Verna. Meinen Rucksack ziert nun das "Tau", den griechischen Buchstaben, mit dem Franziskus seine Briefe signiert hat. Mit diesem Symbol fühle ich mich nun den Pilgern gen Rom auch äußerlich zugehörig.


Gesichter im Fels
Im Albergo "Da Giovanna" werde ich, anders als es der Name erwarten lässt, von einem breit grinsenden padrone empfangen, der mich auf die abendliche Spezialität (Pizza aus dem Holzofen) hinweist. Voller Vorfreude beziehe ich mein Zimmer, wasche meine Sachen am Becken kurz durch und spendiere meinen treuen Lowas eine Hochglanzpolitur mit dem herb duftenden Lederfett. Kurzer Anruf mit dem Handy zuhause - alles paletti, Gerda hat sich ein Zweitexemplar von Kees´ Pilgerführer zugelegt und verfolgt meine Reise nun mit dem Finger auf der Landkarte mit. Mir schwant, dass ich mit mehr Geduld und Offenheit auch ein Mehr an Akzeptanz erreichen könnte. Vielleicht war die empfundene Ablehnung meiner Pläne nur die Bitte um mehr Einblick in meine Motive? 

Wenn ich mir da nur selbst klarer wäre.




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