Sonntag, 17. Februar 2013

Mit Aesop ins Land der Sabiner

Francesco grüßt
vor S. Maria Assunta
Gianfranco, mein Herbergswirt vom B&B Luciana, bringt morgens noch Zutaten für ein herzhaftes Frühstück herbei und bietet mir an, mich bis zum A.P.T in die Stadt mitzunehmen.  Nachdem ich die öde Strecke in die Stadt hinein schon vorgestern aus La Foresta kommend zurückgelegt habe, willige ich gern ein. Wenn ich Gianfranco richtig verstehe, hat er sein neues Geld eben erst in die große Wohnung gesteckt, die er nach Lauredanas Beispiel als günstiges Bed&Breakfast an fahrendes Volk wie Handwerker aus dem näheren Osten und eben Pilger wie mich vermieten will.

Im Tourist-Office hoffe ich, mein Zertifikat und etwas bessere, sprich detailliertere Karten für den restlichen Weg auf der via Francigena nach Roma zu erhalten. Während ersteres wunderbar klappt, erscheinen mir die Karten im A.P.T. als etwas zu schematisch. Der Zusicherung, dass der Weg Richtung Poggio S. Lorenzo gut markiert sei, schenke ich dann doch etwas Vertrauen. In einem schicken Internetcafe suche ich mir eine Herberge (Il Esopo) für die kommende Nacht und starte einmal mehr ohne Karte, dafür mit sehr gemischten Gefühlen Richtung Süden. Franz´ Gesichtsausdruck auf seinem Stein vor der Cattedrale scheint ähnliche Gedanken auszudrücken, bevor er seine letzten Etappen Richtung Rom anging.

Vielleicht sollte ich erklären, warum ich mich in Rieti von meinem Pilgerführer weitgehend löste. Kees macht kurz vor Rom noch einen ausführlichen Schlenker ins Kloster Stroncone und zurück nach Umbrien, bevor er kurz vor dem Ziel eine Bahnfahrt nach Rom empfiehlt. Mir hat schon der Start der ersten Etappe in Florenz per Zug nicht besonders gefallen, das Ziel der Reise möchte ich auf jeden Fall zu Fuß erreichen, als einziges Zwischenziel scheint mir Farfa lohnenswert. Dazu spüre ich seit einigen Tagen immer deutlicher Anwandlungen von Heimweh, vermischt mit dem Wunsch, wieder in "meine Realität" einzutauchen, aber nun in einen Kontext von sinnvollerem Handeln als im bisherigen Job. Auch das Fehlen von Robert macht mir mehr zu schaffen, als anfangs gefühlt. Einerseits bin ich trotz meiner Irrungen ganz zufrieden damit, wie ich die Reise alleine angepackt und durchgestanden habe (mit gütiger Mithilfe "von oben"). Doch bis auf die Kontakte mit Lucas, Caroline und Sonja konnte ich mir nur wenig selbst zuhören - ein wichtiger Part in den Gesprächen mit dem langjährigen Weggefährten, den ich gerade sehr vermisse.
 
Reste einer Römerbrücke an der via salaria
Richtung Torricella in Sabina haben die Organisatoren der Via Francigena ganze Arbeit geleistet, überall Markierungen entlang der alten Römerstraße, die als Via Salaria nunmehr zu einer Schnellstraße mutiert ist. Die ausgeschilderten Wanderwege folgen jedoch einem vertrockneten Flussbett, leider für Wanderer fernab der angepriesenen Sehenswürdigkeiten. Nur der Ponte Sambuco aus der Römerzeit ist in Reichweite und ich verbringe eine späte Mittagspause unter blauem Himmel an dem uralten Gemäuer. Auch nach dem idyllischen Torricella in Sabina geht die Reise ohne Navigationsprobleme weiter und schon bald wähne ich mich am Ziel des heutigen Tages. Leider ist in ganz Poggio San Lorenzo keine Unterkunft zu finden, Aesop´s Herberge befindet sich (wie ich nach intensivem Nachfragen erfahre) "etwas außerhalb" an einem See unterhalb des Berges. Der Hatscher bergab, weg vom markierten Weg, lässt meine Stimmung nicht eben steigen, doch kurz vor 17 Uhr stehe ich nach geschätzten 28 Kilometern an einem verträumten Anglerparadies, das sich auch von den auf der nahen Via Salaria vorbeidonnernden Autos nicht aus der Ruhe bringen lässt.

Das "Il Esopo" erweist sich als eigenartige Erfahrung - das Zimmer ist teuer, aber dafür in all den Tagen in Italien unterste Schublade. Dafür versteht der Pizzabäcker sein Handwerk, abends ist das Restaurant rund um den offenen Kaminofen gut gefüllt mit (vermutlich erfolglosen) Anglern und hungrigen Reisenden, die von der SS4 eine Rast einlegen, bevor sie sich auf die letzten Meter Richtung Rom aufmachen. 

Angelica, die freundliche Kellnerin, versucht sich in Konversation mit dem heute sehr müden Pellegrino, als sich später am Abend die letzten Essensgäste verzogen haben. Ich schaffe es nicht so Recht, ihr die Motive für meine Pilgerschaft, dazu noch solo zu erklären. Nach Ihrer Meinung müsste zumindest "jemand interessantes" auf mich am Zielort warten, um den ganzen Aufwand zu rechtfertigen. Cui bono - wem nützt es, anscheinend eines ihrer Credos. Als nach dem zweiten Caffé aus der Küche ein unmutiges "Angeeeelica!" (Vater? Ehemann? Lover? Chef?) ertönt, ist unser Gespräch abrupt zu Ende. Ich darf meinen GPS-Empfänger (warum auch immer habe ich nur das Ladegerät für den Zigarettenanzünder dabei) in Ihrem Auto aufladen, aber nur, wenn er nicht zuviel Strom zieht. Ein schönes Bild. Erst Morgen muss ich wieder meinen ausgeschilderten Weg finden.


Der Löwe und das Mäuschen (nach Aesop)


Ein Mäuschen lief über einen schlafenden Löwen. Der Löwe erwachte und ergriff es mit seinen gewaltigen Tatzen. »Verzeihe mir«, flehte das Mäuschen, »meine Unvorsichtigkeit, und schenke mir mein Leben, ich will dir ewig dafür dankbar sein. Ich habe dich nicht stören wollen.«

Großmütig schenkte er ihr die Freiheit und sagte lächelnd zu sich, wie will wohl ein Mäuschen einem Löwen dankbar sein.

 Kurze Zeit darauf hörte das Mäuschen in seinem Loche das fürchterliche Gebrüll eines Löwen, lief neugierig dahin, von wo der Schall kam, und fand ihren Wohltäter in einem Netze gefangen. Sogleich eilte sie herzu und zernagte einige Knoten des Netzes, so daß der Löwe mit seinen Tatzen das übrige zerreißen konnte. So vergalt das Mäuschen die ihm erwiesene Großmut.

(Quelle: http://gutenberg.spiegel.de/buch/1928/10)




 


1 Kommentar:

  1. Lieber Adam,

    Maus oder Engel
    Ja, auch ich sehe das Du wieder an Tempo zugelegt hast, doch es fühlt sich anders an. Ich kann Dir nicht einmal genau sagen was es ist, vielleicht weil an die Stelle der großen Strecke die Ziele gerückt sind ? Oder Du nicht mehr so stark an dem Warum und Wie festhältst, sondern das Wer den größeren Raum einnimmt.

    Dieses Gegenüber, dass der Weg uns einfach so bringt, das Gegenüber dem Du mit deiner Frage zur Mithilfe begegnest oder dem Du das Warum versuchst zu erklären.
    Diese Maus, der wir mit Großmut und Verständnis begegnen, scheinbar hilflos und von der die Fabel erzählt, dass sie uns dereinst in einer großen Not helfen kann.
    Warum geht der Mensch auf Pilgerschaft ?
    Ist es der Weg, das Ziel oder die Erlebnisse oder Menschen, vielleicht der innere Dialog oder nur die spätere Rückschau ? Und ist bei dieser Frage die Antwort wichtig oder deine Frage. Ein Teil oder das Ganze ?

    Wie bei Alledem eine Wahl treffen ? Mein Gefühl ist, dass dich schon die Frage nach dem Ende, der Quintessenz begleitet.. Nun, zunächst bist Du deinen Weg noch nicht zu Ende gegangen und falls der gordische Knoten im Danach verborgen ist wird das wohl noch eine Zeit dauern.
    Aber, um bei der Fabel zu bleiben, kann es nicht sein, dass Du gerade Mäusefreunde sammelst, die Dir beizeiten bei den verschiedenen Netzen deines weiteren Lebens helfen können ?

    Und eine Maus ist sicher auch die Renn- und Genauigkeitsmaus, alle Punkte in bestmöglicher Zeit gesammelt. Meine Kontemplationsmaus, gut befreundet mit der Faul- und Beqemlichkeitsmaus bekommt Alpträume bei deinem Tempo. Doch weiß sie sehr wohl, wenn sie ehrlich ist, dass auch sie einen Teil hat der zweifelt. An ihrer eigenen Rolle oder der anderen. Ausweichen oder Angst vor Versagen. Und plötzlich sind die Rollen vertauschbar. Es bleibt nur der Zweifel.

    Wie sicher dagegen ist der Engel. Getragen von seiner Mission. Doch, selbst wenn wir oftmals dem Engel im Gegenüber begegnen, vielleicht sogar der Engel für das Gegenüber sind, wenn wir in uns horchen hören wir zumeist nur das Mäuseherz schlagen.

    Wenn aber in Allem Alles ist, auch das Gegensätzliche, gibt es kein falsch, kein richtig. Nur beides.

    ..Rob

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