Samstag, 9. Februar 2013

Mit Caroline, Maria und Sonja in Assisi

Ostello della pace
Interessante Erfahrung für einen hotelverwöhnten Pellegrino und ex-Geschäftsreisenden, so eine Nacht in der Jugendherberge. Meine Gefühle schwanken zwischen Dankbarkeit und leisem Bedauern, als die Managerin des Ostello mir mitteilt, dass sie für mich und zwei weitere Insassen ein Privatzimmer in der näheren Umgebung organisiert hat. Als ich draußen auf die versprochene Fahrt hinüber warte, winkt mich eine in roten Daunenmantel gehüllte, von einem Heer von Plastiktüten umstellte Gestalt zu sich. Sie begrüßt mich in amerikanisch angehauchtem Englisch und stellt sich als Caroline vor. Mit ihren 82 Jahren zieht sie zu Fuß und per Autostop (wie soll das denn gehen?) durch Italien und lebt weitgehend auf der Straße von dem, was ihr geschenkt wird. Die Nacht verbrachte sie, geschützt vor der umbrischen Kälte, im Heizungsraum. Heute morgen wurde sie bemerkt und mit einem Cappu zum Abschied zur Weiterreise augefordert.

Den USA hat sie schon vor Jahren "Goodbye" gesagt, nachdem sie den Kontinent per Fahrrad bereist hatte, immer getragen von "the power of god". Als ich ihr erzähle, was mich zur Zeit nach Assisi gebracht hat, sieht sie mich aus ihren wundervoll klaren Augen intensiv an, nimmt meine Hände in ihre und sagt nach einer bedeutungsvollen Pause "Adam, you have a mission!". Normalerweise würde mich eine solche Szenerie zu sofortiger Flucht nötigen, heute und jetzt bin ich gefesselt von dem hypnotisch anmutenden Tonfall Carolines. Wir kommen auf meine gleichnamige Schwester zu sprechen, die karmaverstärkend auch noch im gleichen Sternzeichen geboren ist. Der Hinweis auf meine mysteriöse Mission? Ich schenke ihr zum Abschied unaufgefordert meine Gartenschere (die kann sie bestimmt besser brauchen), sie schenkt mir den Ansporn, mit meiner Schwester endlich wieder in Kontakt zu kommen.

Ein schüchternes Hupen macht mich darauf aufmerksam, dass Elena (die neue Herbergsmutter) und meine beiden weiteren Mitreisenden offenbar seit geraumer Zeit im Auto darauf warten, dass ich endlich in die Pötte komme, mein Rucksack wurde, von mir unbemerkt, bereits in den Golfo geladen. Und so umarmt Adam, der schlaflose Pilger lange Zeit Caroline, die obdachlose Heilige, kümmert sich nicht um den herben Duft oder die verwunderten Blicke ringsum und steigt mit Tränen in den Augen in den wartenden Wagen.

Als ich die Beifahrertür öffne, begrüßen mich die blauen Augen von gestern Abend - meine beiden Mitreisenden entpuppen sich als Maria und Sonja Paretti, tatsächlich Mutter und Tochter aus dem Salzburger Land, ebenfalls auf dem Weg ins Privatquartier von Elena. Wir kommen unterwegs ins Gespräch, Sonja will in ein Kloster in Assisi eintreten, sie ist Theologiestudentin und sucht nun nach passender Wirkungstätte. Ich bin in Gedanken anfangs immer noch bei Caroline, jedoch überrasche ich mich selbst in der Pensione mit dem Vorschlag an die beiden Damen, sie am Abend in Assisi zum Essen einzuladen. Wir verabreden uns für halb acht.

In Assisi mit dem Bus angekommen, besuche ich die 11-Uhr-Messe in St. Maria Maggiore (um halb acht war ich schon zur Frühmesse in San Francesco gewesen). Auf eigenartig einsamen Wegen erklimme ich La Rocca und genieße vom Westturm aus die gigantische Aussicht - Blick bis Val Fabricca, mein ganzer Weg bis hierher zu meinen Füßen - un-ban-dig!  In San Stefano entzünde ich noch ein Kerzerl für meine Familie und auch eine für Robert, eher mein Bruder als ein Freund.

Leider sind meine Merrells total am Ende, meine Einfettung von Stia erweist sich als eher letzte Ölung, denn als Rettung. Keine Ahnung, wie ich am Abend mit diesem Mief in eines der feinen Restaurants in Assisi gehen soll. So beschließe ich nach der Rückkehr zu Elena, den Weg nach San Damiano (ich will nochmals in die Vesper) in den Bergschuhen anzutreten und dann gleich so nach Assisi zu stiefeln. Inmitten von wallfahrenden Jugendlichen wird dieser modische Fauxpas hoffentlich nicht zu sehr auffallen.

Als ich dann im Ristorante degli Orti  auf Sonja und Maria treffe, sind solche Gedanken sofort wie weggeblasen. Maria bewundert ihre charismatische Tochter unendlich, während es mir ein Rätsel ist, wie eine derart eigenständige und kirchenkritische Persönlichkeit in ein Kloster eintreten kann. Mystische Wanderpredigerin auf Franz´ und Jesus Spuren würde da viel besser passen. Sonja hingegen findet ihren Entschluss völlig konsequent und so sind wir gleich intensiv am diskutieren. Als ich (nach meinen letzten Erlebnissen, auch an der katholischen Basis) von meinen Zweifeln am Getragensein erzähle, bin ich offensichtlich an eines ihrer Kernthemen  gelangt. Zuerst in Worten erklärt sie mir die Grundfesten ihres Glaubens, dass Gott uns alle trägt, dass wir ihm alles anvertrauen und aufbürden können. Offenbar zeigt mein Blick, dass ich dieses Geschenk auch körperlich benötige - zum zweiten Mal an diesem Tag finden sich meine Hände in denen meiner Gegenüber, dann legt Sonja mir diverse Symbole, die sie der Tischdeko entnimmt in meine offenen Hände und lässt mich den Sinn ihrer Worte mit diesem Setting nachspüren, während ihre Mutter dem (von der Kellnerin misstrauisch beäugten) Schauspiel strahlend zusieht. Um elf mahnt dann Maria zum Aufbruch, wir biegen (wie zum Beweis des Getragenseins) gleichzeitig mit dem Bus hinunter nach Santa Maria degli Angeli zur Porta San Pietro ab und sind kurz vor Mitternacht wieder in Elenas Pensione. Die Trennung fällt schwer und wir verabreden uns auf ein Frühstück in der Stadt für morgen um acht.

Nachtrag: Zum zweiten Mal auf meiner Reise schlafe ich die Nacht durch und träume von einem Leben als Franziskaner in brauner Kutte (Clara kam im Traum nicht vor). Drei Gottesdienste an einem Tag gehen auch an mir nicht spurlos vorüber.









2 Kommentare:

  1. Danke, für die Kerze, Bruder
    Nun weiß ich auch, warum Du diesen Weg alleine gehen musstest.
    Die Schönheit der Bilder, ihre Kraft ist für Dich bestimmt und das ist umso stärker, wenn da nur Du bist, der sie empfängt.
    Mögen die neuen Schuhe dich gut tragen und Du deine Zweifel über den Fauxpas, der in ihrem Äusseren liegt, eher als Ansporn, als an Zweifel sehen, vielleicht aus ihm sogar Rückgrat gewinnen. Den alten hast Du ja schon eine letzte Ölung gegeben, das Vergangene in Ehren loszulassen ist nun noch die Aufgabe, die Dir bleibt.

    Was bleibt ist der scheinbare Widerspruch zwischen der Hingabe und dem kritischen Geist, Freiheit und Gehorsam.
    Doch gilt es nicht zu unterscheiden zwischen der politischen Kirche und der Aufgabe des weltlichen Lebens ? Auch in dieser Hingabe an ein System mit offensichtlich vielen Fehlern können wir wahrscheinlich Gott in uns den Rahmen geben, den wir brauchen um ihn zu spüren.

    Denn, was ist es denn Anderes ? Wir wollen gesehen, besser noch getragen werden und das am besten vom Leben selbst, manchmal Gott genannt.
    Nun, Bruder, du hast dich auf den Weg gemacht, bist hinausgegangen in die unbekannte Fremde mit der Bitte um Antworten. Doch, wer Antworten sucht kann viele finden. Interessant ist die genaue Frage.
    Du darfst erfahren, dass Du getragen wirst und in dieser Hinsicht dabei Erfüllung finden kannst, egal welchen Weg Du gehst. Die Verantwortung der Entscheidung wird uns offensichtlich nicht abgenommen, denn das Ziel kann auf allen Wegen erreicht werden. Das ist sehr schön, macht uns es aber nicht leichter. Vielleicht ist es ja für die eine Wirklichkeit völlig egal welchen Weg wir gehen, wir erfahren das Leben.

    Bleibt also die Entscheidung. Nun, die alten Griechen gingen nach Delphi, Andere ziehen Karten, befragen Bücher oder Gurus. Du hast Schuhe. Und einen Weg.
    Wir werden sehen..


    Aus der Ferne und doch ganz bei Dir

    ..Rob

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  2. Die Erfahrung machen, getragen zu sein, EGAL welchen Weg ich gehe........ Ein wirklich schönes Bild!

    Ich frage mich, braucht es dazu wirklich Erfahrungen im Außen oder spielt sich diese Wahrnehmung in meinem Innersten ab? Warum verfügen die Carolines dieser Welt scheinbar wie selbstverständlich über diese Sicherheit (schon in die Wiege gelegt bekommen?, von ihren Eltern liebevoll geprägt?...) und die anderen versuchen, sie mühsam zu erlangen, zweifeln aber oft ihr Leben lang?

    Dein Zusammentreffen mit der umherziehenden Caroline finde ich sehr spannend, dieses faszinierte Eintauchen ins Hier und Jetzt, ohne sich über Zeit, Rucksack, Äußerlichkeiten oder die Meinung der Anderen Gedanken zu machen und dann noch einen Impuls für das Verhältnis zu deiner Schwester daraus mitzunehmen - ein wahres Geschenk!

    Und interessant, wie schnell einen dann die Sorge, "was werden wohl die Leute dazu sagen?" wieder einholt, und sei es bloß die Befürchtung, mit den falschen Schuhen aufzufallen.....

    Dass du mit Sonja zum zweiten Mal an diesem Tag mit dem Thema "Getragen sein von Gott" in Berührung kommst - vielleicht ein Wegweiser für deine Fragen?

    Ich wünsche dir von Herzen Begegnungen, Wege, Fragen, Antworten...., bei denen du Erfüllung finden kannst.

    Liebe Grüße aus München, Ka

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