Montag, 18. Februar 2013

Durch die Nacht nach Moricone

Statue der Hl. Brigida in Farfa
Am Morgen keine Spur von Angelica oder sonst einer Menschenseele, der ich von einer weiteren durchgrübelten Nacht erzählen könnte. Das Setting meiner Pilgerreise verläuft völlig anders als geplant - anstatt tagsüber tief greifende Gedanken über das "wo stehe ich" und "wohin gehe ich" inmitten der inspirierenden Natur auf dem Franziskusweg zu kultivieren, bin ich meist mit Orientierung und Organisation wesentlich naheliegender Themen beschäftigt. Doch die drängenden Gedanken über die Zukunftsperspektiven von Adam und Familie lassen nicht locker - kurz nach Mitternacht liege ich wieder wach im Bett und das Kopfkino rattert im Dauerbetrieb.

Nach dem Gewaltmarsch gestern steht für heute eine ruhigere Etappe auf dem Programm; in der Nähe von Farfa Sabina will ich wieder ein Stück mit Kees gehen und plane die von ihm empfohlene Übernachtung in Fara (ohne zweites "f") in Sabina. Meine lebenswichtigen Wegmarkierungen gehen oben in Poggio San Lorenzo weiter, ich versuche es aber auf eigene Faust nach meiner Karte. Nach gut einem Kilometer ist der Weg allerdings versperrt und ich stehe nach einer halben Stunde wieder am See, meinem heutigen Ausgangspunkt bei Aesops Hotel. Mittlerweile hat der Angler-Kiosk geöffnet und die nächste freundliche Sabinerin namens Valentina erklärt mir hinter dem Tresen kompetent einen alternativen Weg nach Toffia, während sie mir nebenbei ein Pescatore-Frühstück zubereitet, das wohl jeden mürrischen Angler oder Pilger milde stimmt. 

Der Weg nach Toffia führt malerisch an Hügelketten vorbei durch duftende Olivenhaine. So macht das Pilgerleben Spaß, nur die vorgerückte Stunde sät leichte Zweifel, ob es überhaupt möglich sein wird, vor der endlosen Siesta des Klosters nach Farfa zu gelangen. Trotz des Zeitdrucks lasse ich mir eine ausführliche Tour durch das wunderbar am Hügel angelehnte Toffia nicht nehmen, die eng aneinander geklebten Häuser vermitteln das Bild eines beschaulich-entspannten Zusammenlebens, auch wenn vor einer Tür zwei ältere Bewohnerinnen einen erbitterten Zwist austragen. Vielleicht habe ich doch ein etwas zu idealisierendes Bild des städtischen, dichtgedrängten Gemeinwesens. Jedenfalls verziehe ich mich lieber weiter Richtung Farfa, anstatt mich zur wachsenden Schar Schaulustiger zu gesellen, die wohl in Kürze Wetten über den Ausgangs des Disputs abschließen werden.

Farfa - im 11 Jhd Herrscherin über Mittelitalien
Obwohl ich den Weg nach Farfa beinahe im Laufschritt zurücklege, reicht es nur für einen weiteren prominenten Stempel in meinem credenziale und einen kurzen Blick in die Abtei. Ich finde den Ort weitaus interessanter - seine zwei Reihen an fast gleich hohen Gebäuden strahlen eine Aura von Kontinuität aus. Das Ristorante mit seinen genialen Penne Don Camillo bringt meinen Reiseplan zusätzlich etwas ins Schwanken, doch nach dem Caffé steht fest, dass ich weiter nach Fara gehen werde, nun wieder nach den Anweisungen von Kees. Wohl zum letzten Mal auf dieser Reise - der angekündigte Anstieg über eine "hohe Wiese" entwickelt sich zu einer Kletterpartie durch Fara´s Müllberg (offenbar fanden einige unerfreuliche Entwicklungen statt) und verdreckt und verschwitzt lande ich auf dem Marktplatz der kleinen Gemeinde. Die einzige Möglichkeit zur Übernachtung ist geschlossen, die Clarissinnen sind in Klausur, was mir eine durch mein Dauerklingeln an der Pforte aufgeschreckte Nachbarin vermittelt.

Da wäre ich doch besser in Farfa geblieben - so langsam bricht die Dämmerung herein. Als mich auf dem Weg nach Montelibretti dann die Dunkelheit einholt, verlasse ich den Pilgerpfad, um an mehreren Stellen der Schnellstraße Autostop zu versuchen - ohne Erfolg. Dann beginnt es zu regnen, gottergeben wandere ich die letzten paar Kilometer begleitet vom Feierabendverkehr bis zu einer Tankstelle. Vom Handy aus erwische ich dort zum Glück Claudio, den von Kees angepriesenen Herrscher über das Regillo Village in Moricone. Er reagiert zwar nicht besonders begeistert, dass er seine Tochter zum Bergen  des gestrandeten Pilgers losschicken muss (er selbst muss noch dringend weg), aber schließlich holt mich Francesca (wie passend) nach einigen Irrungen eine Stunde später von der AGIP-pompa ab. "You must be crazy, to walk this way by night and rain" erklärt sie mir zwischen zwei Telefonaten, sie ist zu geladen um zu spüren, wie dankbar ich ihr für ihre abendliche Heldentat bin. "That´s not so crazy as the things I´ve done before" (und denke dabei z.B. an die Durchquerung der Müllkippe von Fara, deren Geruch mir vermutlich noch immer anhaftet). Zum ersten Mal erkenne ich den Anflug eines Lächelns auf ihrem angespannten Gesicht. Den Rest der Fahrt verbringen wir schweigend, meinen Zwanziger für eine Stunde Herumfahren nimmt sie mit einem gnädigen Grazie! entgegen. Sie zeigt mir mein Zimmer und verschwindet sodann eilig.

Nach einer Pizza und einem Bier in einer der wenigen Bars genieße ich frisch geduscht mein sauberes Zimmer, das im Lichte von Aesops Absteige (trotz Angelica) geradezu feudal wirkt. Wenn es nach Kees ginge, könnte ich morgen den Zug nach Rom nehmen. Ich werde dort aber zu Fuß ankommen. Danke guter Holländer, meist hast Du mich treu geführt.

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