Freitag, 8. Februar 2013

Die Herberge des Friedens

Wenn der Plan von gestern Schlaf durch Überanstrengung beinhaltete, dann hätte ich mir die Gewalttour sparen können. Von drängenden Gedanken besetzt, wälze ich mich im knarzenden Bett des ehemaligen Franziskanerklosters, das nun als Jugendherberge dient.

Im Hinblick auf die Zeit in Assisi beschäftigt mich die Relation zwischen Vor- und tatsächlich empfundener Freude - werde ich mich alleine in den Massen von Menschen wohlfühlen und zurecht finden? Dazu dreht sich das Gedankenkarussell um die (vermutlich kindische) Frage, wie das  Verhalten von Jesus und der Jünger (alle häuslichen und familiären Pflichten von heute auf morgen hingeschmissen und dem gefolgt, was ihnen in einem Moment als ihre Bestimmung erschien) in der "christlichen" Bewertung solchen Handelns heutzutage ausfallen würde. Die Akzeptanz meines "Teilzeit-Ausstiegs" als Maßstab genommen, hätten die Jünger vermutlich schlechte Karten. Wieder einmal verbringe ich die halbe Nacht hellwach, die erhoffte Beschäftigung mit dem "Was mache ich jetzt?" findet derzeit als nächtliches Grübeln statt. Regen trommelt dazu leise im Takt.

Brave Führer am Wegesrand
Nach einem spartanischen Frühstück verlasse ich Val Fabbrica fluchtartig (der Regen hat sich zurückgezogen) ohne weitere Einkäufe. Nach einem leicht ansteigenden Pfad geht es atemberaubend steil einen Hügel hinauf, der Weg ist vom nächtlichen Regen aufgeweicht und seifig, ein wahres Wunder, dass ich ohne Abflug diesen Anstieg schaffe. War ich davor noch schlaftrunken dahingetrottet - jetzt bin ich wieder hellwach und im Tag angekommen. Erst jetzt spüre ich wertschätzend, dass ich die Gewalttour von gestern ohne nennenswerte Blessuren überstanden habe. Die Wolken ziehen sich nun immer mehr zurück, die Sonne Umbriens trocknet die anfangs batzigen Wege schnell. Dann der magische Moment - aus dem Nebel taucht plötzlich Assisi auf und die Rocca und San Francesco scheinen aus der Ferne zu grüßen, dazu die "Tau"-Markierungen an jeder Ecke - das bisher intensivste Gefühl des "Angekommen sein" stellt sich bei mir ein.
  
Assisi in der Ferne - noch zwei Stunden Weges
Obwohl der einsame Weg nach Assisi  nun beträchtlich auf und ab führt, gehen die Gedanken zurück an frühere Besuche der Heimatstadt von Franziskus - zum ersten Mal während der toskanisch-umbrischen Flitterwochen. Mit unserem Kinderwagen-Rollstuhl-Tandem konnten wir uns kaum den Weg durch die engen Gassen bahnen, heftig bedrängt von hartnäckigen Drückerkolonnen, die uns unsägliche Devotionalien andrehen wollten. Mein "Nie wieder Assisi" hielt zwanzig Jahre, bis unsere Pfarrgemeinde eine ökumenische Busreise auf den Spuren von Franz auf die Beine stellte. Welch Unterschied zur ersten Plackerei - im Lichte der Spiritualität und mit den versierten Erklärungen des fast verklärt wirkenden Pfarrer-Teams erlebte ich vier wundervolle Tage voller Licht, Musik und interessanter Gespräche. Diese Stimmung, das Atmen von "franziskanischer Luft" hoffe ich heute und morgen restaurieren zu können. 

Das letzte Stück Weges bis zum Denkmal von Pater Pio führt mich durch ein wahres Arkadien - Olivenhaine, friedlich grasende Schafherden und uralte Häuser vermitteln ein Bild eines mythischen Lebensmodells, in dem schlaflose Nächte nicht vorkommen. Bloß: Mit meinem leistungsorientierten Setting wäre bei einem Leben ohne "Anstrengung" (ich spreche nicht nur von körperlicher Arbeit) die Langeweile mein stetiger Begleiter.

Ohne mich groß beim pompösen Pater-Pio-Denkmal aufzuhalten (in meiner Phantasie stimmt der verehrte Heilige Adams Einschätzung des Monumentes zu - verkitscht) mache ich mich auf den etwas zähen Anstieg zur Porta Giacomo, ganz nahe bei San Francesco. Oben orientiere ich mich in Richtung San Pietro, um im Ostello della Pace einzuchecken, mitten durch Massen von Wallfahrern. Das Ostello öffnet erst um 16 Uhr - ich beschließe, meinen Zaino als Zeichen für "ich war zuerst da" hier zu lassen und ohne Gepäck nach Santa Maria degli Angeli zu gehen. Doch auch dort sind die Tore mittags geschlossen, so höre ich auf den knurrenden Magen und warte in einer Bar bei Pizza und Caffé. Der Blick zurück nach Assisi ist grandios.

Blick auf Assisi (ausgeliehen vom Ostello della Pace)

Ohne die Portiuncula-Kapelle wäre St. Maria nur eine weitere große, prächtige Kathedrale. Aber der Ort, an dem Franz lange wirkte und dort auch gestorben ist, hat auch auf mich eine fast magnetische Anziehungskraft. Eine konzentrierte Stunde verbringe ich dort, in Gedanken an meine Ahnen, vor allem meine Großeltern, die von der Geschichte vergessen, irgendwo im heutigen Serbien verscharrt wurden. Erst vor kurzem war ich mit meinem Vater an den Orten seiner Kindheit, ein eigenes Kapitel seiner und meiner Lebensreise. 

Zurück im Ostello wird mir ein Platz in einem wackligen Stockbett zugewiesen, den ich dankbar annehme. Leider nur für eine Nacht, da ab morgen alles belegt ist. Über Rivotorto wandere ich mit der Stirnlampe ausgestattet hinüber nach San Damiano, wo der spirituelle Weg von Franz seinen Anfang nahm. Ich mag diesen Ort und die Abendandacht mit der spirituellen Gemeinschaft sehr und fühle mich viel wohler, als in den prunkvollen Kirchen Assisis. Dorthin zurück und zu meiner cena in der Herberge führt der gut ausgebaute, sogar beleuchtete Gehsteig.

Andacht in San Damiano
Im Ostello della pace ist in der Zwischenzeit kein Friede mehr zu finden, voll belegt zeigt es sich abends erfüllt von Stimmengewirr aus allen Ländern. Am Tisch sitze ich mit Australiern und Kanadiern, wir tauschen uns aus über das woher-wohin (warum steht nicht auf der Agenda). Am Nebentisch fällt mir ein Mutter-Tochter Gespann (rate ich mal) mit österreichischer Tonart auf, die begeistert von Pater Pio erzählen. Immer wenn die jüngere spricht, hängen die übrigen Tischgenossen förmlich an den Lippen der jungen Frau mit den langen roten Haaren und dem lebhaften Blick aus den blauen Augen. Obwohl ich nicht alles verstehe, ergeht es mir ähnlich. Ich will nicht zu unhöflich wirken und so wende ich mich von der charismatischen Szene wieder etwas bedauernd den Gesprächen meiner Tischgenossen zu. Gerade werden Erlebisse vergangener Kreuzfahrten durch ferne Meere diskutiert, ich würde gern am anderen Tisch sitzen, plötzlich interessiert an Pater Pio. Als einer der ersten verlasse ich das refettorio, todmüde und voller Eindrücke zwischen Einsamkeit und Fülle an Menschen. Morgen...Assisi...





4 Kommentare:

  1. safari ausprobieren , Mecki

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  2. Lieber Adam,
    deine Frage nach der "christlichen" Bewertung von bestimmtem Verhalten finde ich sehr spannend. Mir ist dazu gleich die Geschichte von Nikolaus von der Flühe eingefallen - ein Mystiker des 15. Jahrhunderts, der zu seiner Zeit unter korrupten Richtern und Ratsherren litt und nach (bestimmt) intensiven inneren Kämpfen einen radikalen Neuanfang wagte.

    Jemand, der seine Frau und die zehn Kinder für den Glauben im Stich lässt, müsste zweifellos auch heutzutage mit massiver Kritik und ebenso großem Unverständnis rechnen. Dass ihn mit 48 Jahren die Not quälte, er habe sein Lebensziel verpasst und er seine Familie verließ, um in die Einsamkeit zu gehen, wurde damals sicherlich von vielen Mitchristen nicht unbedingt akzeptiert, sondern eher als unverantwortlich und egoistisch abgestempelt. Die Tatsache jedoch, dass er diesen Schritt als Antwort auf den Ruf Gottes bzw. aus Berufung getan hat, bewirkt bei der Allgemeinheit scheinbar oft Hochachtung oder zumindest Toleranz und Nachsicht.

    Doch wie sieht es mit dem Urteil von Kirche und Gläubigen aus, wenn die Beweggründe für so eine Entscheidung keine religiösen Motive sind? Was, wenn ich in einer Beziehung spüre und erkenne, dass man sich auseinander gelebt hat, dass etwas zu Ende geht, es vielleicht anders gekommen ist, als ich erwartet habe?

    Kann ich dann auch auf Verständnis und Akzeptanz vonseiten der Kirche hoffen? Wie steht es dann mit der Bibelstelle "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein"?


    Interessante Fragen, die mich sehr beschäftigen und über die ich mich gerne mal mit dir austauschen würde......

    Ich hoffe, du hast einen schönen Tag in Assisi und freue mich, bald wieder von dir zu hören bzw. zu lesen.

    Herzlich, Ka



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  3. Hallo Adam

    Nur schnell.. heute ist wieder einer der Tage an denen meine Energie schon verbraucht ist.

    Doch, es freut mich zu lesen, dass Du deinen Weg weitergehst, es klingt Ruhe aus deinen Worten, Du atmest die Plätze und die Landschaft ein, erreicht Ziele und begegnest der Vergangenheit. In der Welt, die dich umgibt und deiner eigenen.
    Mit jedem Schritt zu Dir selbst zurück.. Es freut mich, da ist Frieden, es gibt mit Ruhe.

    Alles Gute weiterhin
    ..Rob

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  4. Lieber Adam
    Man kann sich natürlich viele Gedanken über „christliche Bewertungen“ machen.
    Stellt sich die Frage wie christlich im Sinne der Jesuslehre, christlich ist , wie viel wissen wir denn wirklich von dieser Lehre und von wem? Die Kirche ist eine Institution, von Menschen
    gemacht, ob Jesus sich da wirklich wiederfinden würde, eher fraglich. Es ist sicher auch anregend alte überlieferte Geschichten anzuschauen, nur das Leben ist jetzt, und du erzählst uns deine Pilgerreise. Für dich geht es um dich, Was bringt dir dein Leben grade jetzt vorbei.
    Was erzählt es dir , was regt es bei dir an, mit was konfrontiert es dich, welche Gefühle entstehen aus dir. Kurz - was möchte es dir zeigen. Du hast eine Entscheidung getroffen, bist auf viele Widerstände gestoßen, bist bei deiner Entscheidung geblieben, begegnest auf deiner Reise äußeren und inneren Widerständen (es wiederholt sich und wiederholt sich).. und du hast auch Zustimmung durch die wunderbare Natur , durch Begegnungen erfahren... Deine Entscheidung, wem du mehr Gewicht gibst. Wir sind freie Wesen. Ja, ungewohnte Töne aus meinem Mund!!?? Resultat meiner Entscheidung , die PGR Arbeit hinzuschmeißen.
    Laß dich führen - Mecki

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