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Montefranco in der Morgensonne |
Auch Marias Frühstück im Borgo erweist sich als einzigartig, wohl als Entschädigung für den Regen werde ich verwöhnt wie ein verlorener Sohn. Einem hamsternden All-Inclusive-Gast ähnlich packe ich die Reste als Lunchpaket zusammen, in weiser Voraussicht wie sich später herausstellt. Lange überlege ich, auf welchem Weg ich ins "heilige Tal" mit den vier berühmten Franziskusklöstern gelangen will - mit Kees und seinen verwirrenden Wegen, in den kommenden beiden Tagen mitten durch die Berge, oder der via francigena folgen. Sie führt zuerst bis Piediluco (zur Franziskuskapelle) die Nera entlang, um dann nach Osten Richtung Rieti abzubiegen. Das Wetter soll laut Maria meglio werden, na viel schlechter als gestern geht auch nicht mehr. Und obwohl ich ab der Grenze von Umbrien nach Latium keine Karte mehr habe, verlasse ich mich auf die gelbe Markierung nach Rom - "wird schon klappen". Und zuerst läuft auch alles bestens, der Weg entlang der Nera ist bestens ausgeschildert, ich versuche, durch hohes Tempo die Sonnenwärme zum Trocknen der klammen Pilgerklamotten zu nutzen und renne allen aufkeimenden Zweifeln davon.
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Wegweiser, leider wenig verlässlich | | | | | | | | | | |
Die kleinen Nester grüßen von den Hügeln herab und laden ein zu entspannter Pause und bestimmt wundervoller Fernsicht - doch ausspannen und sinnieren steht nicht auf dem Programm heute, nur kurze Blicke auf den Flusslauf, von tief ins Wasser ragenden Ästen eingerahmt. Zu den Cascate von Marmore steigt der Weg hinter Arrone steil hinauf - leider werden die spektakulären Wasserfälle nur am Wochenende zur Erbauung der Ausflügler aktiviert, so muss ich dieses Naturschauspiel auf den Bildern des Naturparks bewundern - Goethe wäre von der Idee eines künstlichen Wasserfalls ohne "sittlichen Nährwert" bestimmt begeistert gewesen.
Kurz vor eins bin ich bereits in Piediluco, als einziger Weg um den Lago bietet sich die Asphaltstraße mit reichlich Verkehr an. Das Pro Loco ist verriegelt und scheint auch bis auf weiteres keine Informationen für Herberge suchende Pilger herauszurücken. Nach kurzer Rast in der fast ausgestorbenen Stadt entschließe ich mich, noch heute nach Poggio Bustone, dem ersten der vier Franziskanischen Klöster im Rietital aufzubrechen.
In Labro sind alle Tourenbeschreibungen zu Ende, ich folge den immer spärlicher werdenden gelben Markierungen, die seit Murro nur noch als verblichene gelbe Punkte den Weg weisen. Dazu steigt der Weg in (völlig falscher) Richtung Nordwesten irrwitzig an. Im absolut unpassendsten Moment macht sich dazu eine Blase an der Ferse schmerzhaft bemerkbar. Mangels Alternative gehe ich immer weiter, obwohl alle Zeichen zum Umkehren oder zumindest Anhalten und Nachdenken mahnen. Doch außer einer Essenpause kenne ich nur ein "weiter!" auf dem einmal eingeschlagenen Weg.
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Benessere con cani |
Eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit und der totalen Verzweiflung kommt mir ein Ehepaar in einem Pickup entgegen, die bei meinem Anblick sofort anhalten - meine Ratlosigkeit steht mir wohl weithin sichtbar ins blasse Gesicht geschrieben. Als ich ihnen mein Ziel (Rivodutri oder Poggio Bustone, ich bin da nicht mehr wählerisch) nenne, schlägt die Frau fast die Hände über dem Kopf zusammen, ich bin - welche Überraschung - total falsch. In ein paar hundert Metern ist die Straße zu Ende und zurück geht es nur nach Murro. Ich darf mir auf der Ladefläche zwischen Gartengeräten und frisch geputzten Arbeitsstiefeln einen Platz in der wilden Hundemeute suchen, selten habe ich mich so geborgen gefühlt. Nach 10 Minuten Abfahrt nehmen meine Retter einen Abzweiger, den ich zuvor mangels Markierung ignoriert hatte und Minuten später sehe ich den ersten Wegweiser nach Poggio Bustone, mit roter (!) Farbe gekennzeichnet. Voller Dank verabschiede ich mich von meinen Wohltätern, freundlich lächelnd nehmen sie mein "pace e bene" samt Franziskusbildchen aus La Verna als Grazie für den Umweg an und machen sich auf Richtung Murro. Die Hunde haben kein einziges Mal gebellt.
Als Franz von den Anfeindungen wegen seines radikalen Weges auf den Spuren Jesus´ genug hatte, wanderte auch er nach Latium und begründete die 4 Klöster auf den Anhöhen über dem Rietital. Ihm ging es damals ähnlich wie mir heute, er war begeistert, wie freundlich ihm die guten Menschen hier begegneten - wohl in Latium entstand sein
Buon giorno, buona gente!
Mit freundlicher Unterstützung meiner Stirnlampe schaffe ich es auf Franziskus´ Spuren gerade noch so bis Poggio Bustone, finde auch das Ostello Francescano, wo ich als einziger Gast aufgenommen werde. In dieser Nacht finde ich trotz der Erschöpfung keinen Schlaf, bis eins klopfen und hämmern emsige (Schwarz-) Arbeiter am Haus gegenüber und alle Rufe der Nachbarn können sie nicht zum Aufhören bewegen. Als dann Ruhe ist, sinniere ich über die Aktion heute nach - ich bin mir selbst fast fremd, wie stur ich am ursprünglich gefassten Weg festhielt. Die aufgescheuerte Blase schmerzt, doch das wunde Gefühl, wie knapp ich heute einer Nacht unter freiem Himmel ohne passende Ausrüstung entgangen bin, rührt tiefer.
Ubi Caritas, et amor, deus ibi est!
Lieber Adam,
AntwortenLöschenin deinem heutigen Blog kristallisiert sich für mich ein großes Thema heraus, das mich ziemlich beschäftigt - das Umkehren.
Kennen wir das nicht alle aus dem alltäglichen Leben, kopflos wie mit Scheuklappen in eine Richtung zu laufen, obwohl alle Zeichen zum Umkehren mahnen? Den einmal eingeschlagenen Weg stur beizubehalten? Sei es in einer Beziehung, in unserem Job, in unserem Ernährungsverhalten usw.
Aber das Umkehren ist eben eine ausgesprochen unbequeme Art der Fortbewegung. Da steht uns oftmals der eigene Stolz oder Trotz im Weg. Denn um tatsächlich umkehren zu können, braucht es zu allererst die
Fähigkeit, Fehler oder Versagen einzugestehen, Verantwortung zu übernehmen. Eine nicht gerade einfache Aufgabe....
Es ist so schwer, eine Fehlentscheidung zu korrigieren und nicht aus lauter Sturheit einfach weiterzumachen. Es ist so schwer, aus eingefahrenen Gleisen auszubrechen.
Vielleicht kann uns die Erkenntnis weiter helfen, dass jeder das Recht auf Irrtum, auf Hin und Her, auf Umkehr hat.
Im größeren Kontext - Ich wünsche mir auch auf globaler Ebene ein Leben, das Abschied nimmt vom unbeirrten "Weiter so", das zur Umkehr einlädt. Möglicherweise wären dann beispielsweise Klimakatastrophen, Bankenkrisen, Rüstungsexporte vermeidbare Folgen von ungebremstem Weitermachen.....
Wie schön und wunderbar, wenn uns in Zeiten des "Nichterkennens unseres Irrweges" wohlwollende Wegweiser, Retter, Engel, Lieder... begegnen, die uns wieder auf einen anderen Blickwinkel oder eine Alternative aufmerksam machen!
Pratipaksha bavanam....
Herzliche Grüße, Ka (die sehr froh ist, dass du deinen Weg wieder gefunden hast....)
Liebe Karuna,
AntwortenLöschenschöne Gedanken zum Thema Umkehr, danke.
Und da gibts noch mehr zu entdecken...
Vorausgesetzt, daß man das Gefühl der Niederlage registriert,
ohne es übermächtig werden zu lassen, erkennt man beim Zurückgehen/Umkehren oft,
daß der Weg noch ganz andere Perspektiven hat, die vorher nicht sichtbar waren.
Es eröffnet sich ein ganz anderer Blickwinkel und du siehst, was da noch alles ist.
Kannst du beim Spaziergang gut ausprobieren, wenn du den gleichen Weg zurück gehst und deine Aufmerksamkeit darauf richtest. Andere Lichtverhältnisse , andere Himmelsrichtung, andere Zeit,
andere Begegnungen.....
Außerdem ist das Gehen selbst, das Leben!!
Danke Adam,
daß du uns an deinem Gehen/Leben teilhaben läßt, dadurch ergeben sich auch für mich neue Perspektiven. Hätte ich vor ein paar Wochen nicht gedacht, daß es mich so reich beschenkt, ich dachte, du nimmst mir was...
Mögest du dich finden lieber Adam - gutes gehen - Mecki