Freitag, 15. Februar 2013

Rieti und La Foresta

Pforte des Klosters in Poggio Bustone

Nach dem Frühstück lasse ich meinen Zaino in der Herberge und wandere über die regennasse Fahrstraße hinauf zum Franziskaner-Kloster, das etwas abseits des Ortes liegt. Auf dem Weg dahin werde ich von einem kompakt-kleinwüchsigen Mann angesprochen, der mich offenbar um Geld anpumpt. Zuerst verstehe ich sein Ansinnen nicht, da er meiner Vorstellung eines Bettlers  mit seinem gepflegten Äußeren rein optisch nicht entspricht. Er frägt hartnäckig nach ein paar Cents. Unangenehme Erinnerungen an eine ähnliche Szene mit einem Junkie mitten in Amsterdam werden wach ("You have a knife? No? But I have one"). Ich versuche, freundlich zu bleiben, doch die dreiste Art dieses Typen raubt mir allmählich die Fassung. Schließlich gebe ich ihm eine Münze, was seine Bemühungen nur noch mehr anfeuert. Erst als ich ihn anschreie, mich in Ruhe zu lassen (merke: Vokabellernen hilft, auch wenn der Sinn im ersten Moment nicht erkennbar sein mag), bleibt er zurück. Kaum hat sich mein Puls beruhigt, sprechen mich zwei Frauen aus dem Ort an. Sie wollen wissen, ob ich dem Ragazzo Geld gegeben habe. Dies solle ich auf keinen Fall tun, da alles Bare sofort in Alk umgesetzt wird.  Na toll.

Wahrlich ein interessanter Start in diesen Tag. Er begann in den frühen Morgenstunden mit einem alles überstrahlenden Gefühl der Dankbarkeit für meinen Körper, der bisher alle Zumutungen des Pilgerdaseins in meiner sportlichen Auslegung meist klaglos mitgemacht hat. Dankbarkeit auch für die positiven Rückmeldungen von daheim, wo Gerda und die Familie meine Etappen wie in einem Live-Ticker mitverfolgen und die anfängliche Skepsis in idealisierende Begeisterung umgeschlagen ist, witzigerweise genau entgegengesetzt der Dynamik meiner eigenen Zuversicht in das Projekt.

Das Kloster ist menschenleer, zwar kann ich einige Räume und den Garten besichtigen, doch niemand zu sehen, der mir einige Postkarten verkaufen oder mein credenziale stempeln könnte (ganz wichtig für meine deutsche Pilgerseele). Als ich schon wieder abziehen will, treffe ich den gerade von einer Romreise heimkehrenden Frater Mariano, der meine offiziellen Anliegen verarztet. Gerne würde ich besser italienisch sprechen können, obwohl das woher und wohin schon gut funktioniert - etwas mehr vom warum bleibt auf der Strecke, schade.

Ich hole meinen Rucksack von Herrn Landini ab und mache mich auf den Weg Richtung La Foresta, dem zweiten franziskanischen Kloster. So bepackt scheine ich ein leichtes Ziel zu sein, denn am Ortsausgang startet der Schnorrino seinen zweiten Versuch. Diesmal wird er fast gewalttätig, zieht und zerrt an mir herum. Das ist zuviel für mich - ich lasse alle franziskanischen Anwandlungen bleiben und schleudere ihm mit finsterer Miene ein se ne vada! zu. Dies scheint zu funktionieren, mit einem schiefen Grinsen zieht er ab, auch die beiden Frauen, die die Szene wieder beobachten, nicken zufrieden. Offenbar habe ich mich erfolgreich an die landestypischen Sitten adaptiert.

Unterwegs geht mir die Szenerie mit dem Alk-Junkie nicht mehr aus dem Kopf. Warum berühren mich solche Erlebnisse derart tief? Was wäre eine adäquate Form gewesen, mit so einem Menschen umzugehen, gar mit Geduld auf ihn einzugehen? Hätten Franziskus oder Sonja durch ihr Vertrauen in Gottes Führung eine andere und für beide Seiten bessere Form gefunden, als fast in Panik zu verfallen? Ich höre in mich hinein, die Antwort lautet: "Gut gemeistert, schau auf deinen Weg".

Der ist wunderbar genug, im Sonnenlicht bieten sich wunderbare Aussichten auf das Hügelland ringsum. Der Weg ist durchgängig mit Holzwegweisern und (heute mal wieder) gelben Punkten markiert. Es ist bereits Mittagszeit, als ich hunderte von Stufen Richtung Cantalicce hochsteige und dampfend auf dem Marktplatz ankomme. Zeit für eine kleine Brotzeit, mit überwältigender Aussicht. Eine Magnatenvilla reiht sich im weiteren an die nächste, dazwischen Olivengärten und augenscheinlich prosperierende Landwirtschaft - ein kleines Wochenend-Paradies für die gut betuchten Bewohner aus Rieti und Umgebung.

La Foresta-Impressionen
Guter Platz für ein Nickerchen
Wieder einmal lande ich zur Unzeit bei den perfekt gepflegten und in strenger Geometrie angelegten Gärten des Klosters La Foresta. Geschützt unter der Skulptur von San Francesco hole ich etwas Schlaf nach, erst um halb drei werde ich zusammen mit einer kleinen Reisegruppe durchs Kloster geführt. Ein junger Kerl, voller echter Begeisterung für die Kunstwerke und Geschichten des Klosters, zeigt uns die Schätze von La Foresta. Das alles für Gotteslohn - bei den Frati absolviert er derzeit seine Drogen-Reha, wie er uns staunenden Touristen freimütig erzählt. Die amerikanischen Sightseer sind allerdings noch mehr über mein Pilgerprojekt verwundert, "Rome by foot - crazy!".

Mit frisch gestempeltem Credenziale geht es beschwingt nach Rieti hinab, es entsteht keine Liebe auf den ersten Blick. Wohl auch wegen der Menschenmassen, die sich spätnachmittags durch die Stadt mit vielen Brücken über den Velino wälzen. Nach kurzer Besichtigungstour mache ich mich außerhalb der Mauern von Rieti auf die Suche nach einem Platz für die Nacht.

Leider ist die von Kees empfohlene Herberge, die Oasi Francescane, verriegelt und nur von einem Betrunkenen bewacht. Auch auf dem weiteren Weg zum nächsten Tagesziel Greccio tut sich keine Übernachtungsmöglichkeit auf. An der Cottorella-Quelle komme ich beim Nachfüllen meiner Wasserflasche mit einem freundlichen Herren ins Gespräch. Sein Freund hat ein B&B in der Nähe, nach kurzem Telefonat sitze ich in seinem Nissan auf dem Weg zum "Girasole" in Contigliano.

Dort werde ich freundlich von Felice Nucci empfangen, das Zimmer ist bestens ausgestattet und einfach nur tiptop. Kaum angekommen bin ich schon zu einer großen Familienfeier eingeladen, als ich mich nach einem Ristorante zum Abendessen erkundige, fast schon zu viel der Wohltaten für einen Tag.

Das abendliche Festmahl gewährt sehr interessante Einblicke in die Gebräuche Italiens - hinter meinem Platz steht ein riesiger Fernseher, auf dem die berluskonische Maschinerie zur Verblödung Italiens geräuschvoll die Gespräche am Tisch untermalt. Irritierenderweise schauen die Menschen auch während der Unterhaltung immer wieder auf die lärmende  Flimmerkiste. Offenbar ist es möglich, gleichzeitig La Tivu zu schauen, während man sich über die mangelnden beruflichen Perspektiven hier in der Gegend austauscht. Und dieses Thema bestürzt mich zutiefst, trotz gutem Uniabschluss musste Silvia, die Tochter des Hauses, mit ihrem Freund in London jobben. Im Rietital gibt es rein gar keine Chance auf einen Job, der eine Familie ernähren könnte - Hotel Mama ist da die einzige Alternative zum Auswandern. Im Girasole bestimmt nicht das schlimmste Schicksal, doch allgemein wächst mit der Arbeitslosigkeit auch unter gut ausgebildeten Erwachsenen ein heftiges strukturelles Problem heran.


Pappsatt falle ich ins Bett - nach kurzem Telefonat mit Gerda, Antonia und Bello (alles roger daheim) endlich einmal wieder tiefer erholsamer Schlaf ohne Gehämmer.



2 Kommentare:

  1. Schön Adam,

    Ich sehe das Umkehren hat dich langsamer gemacht. Vielleicht ist es auch sonstwaswer, dass Dir jetzt Lebensgeschichten bringt und mag sein, es braucht die Erinnerung an ein Messer.
    Doch dein Fokus sieht nicht nur die Wegmarkierung. Du kannst Menschen sehen, Abhängigkeit und Abgrenzung. Deine Zweifel, die entgegen der Begeisterung entsteht. Und.. was sie mit Dir machen.

    Die Hügel Italiens gewähren uns immer wieder Ausblick.
    In die Vergangenheit oder die Zukunft. Oder nur den Überblick.
    Und sieh- das Land ist reich und reizvoll.
    Du kannst gehen und in dich hören, findest ein "schau auf deinen Weg.."

    Uns sieh, da sind Menschen.. spür und da bist Du..

    ..

    AntwortenLöschen
  2. Rob,
    du hättest Prediger werden können. Ein ziemlich guter sogar.

    Lieber Adam,
    hab richtig aufgeatmet beim Lesen.
    Endlich sitzt du mit anderen am Tisch, bist eingebunden und der Pilger schläft !!!
    Fast schon ein Halleluja...Mecki

    AntwortenLöschen