Endlich geht der Weg nun einmal meditativ sanft durch die friedliche Hügellandschaft bergan. Meine Gedanken verweilen lange bei der werdenden Mutter, die nach geduldig ertragenem Singleleben endlich dem Mann ihrer nicht eben anspruchslosen Träume begegnete. Leider liegt zwischen den beiden eine halbtägige Zugfahrt und keiner der sehnsüchtigen Fernschmachter bringt es übers Herz, Heimat, Single-Dasein und als Erbe feststehendes Elternhaus samt Besatzung zurückzulassen. Nun gesellen sich Zwillinge zu dieser komplexen Konstellation, ohne dass dieser Zuwachs bislang zur Klärung der Situation in Richtung eheähnliches Zusammenleben beitragen konnte. Mein mentaler Anteil zu einer positiven Entwicklung muss sich trotz intensiven Nachdenkens auf fromme Gebete beschränken, denn kein noch so gut gemeinter Ratschlag will mir einfallen (noch stünde er mir zu). Da ich auf Nachrichten in Form von freudigen Geburtsanzeigen hoffe, bleibt das Handy ausnahmsweise an, doch bis zum Abend erreichen mich keinerlei Neuigkeiten aus dem Chiemgau, der Heimat von Gerdas Freundin.
Mit diesen Gedanken laufe ich im Dörfchen Lonnano ein und steuere zielsicher auf den winzigen Laden zu, der das kunterbunte Zentrum für die Bewohner abzugeben scheint. Die neugierigen Blicke legen die Vermutung nahe, dass Pilger nach Rom (der Gedanke erscheint mir gerade wieder aberwitzig) hier eher selten ihren Bedarf an Wasser und Obst ergänzen, so wie ich es freundlich lächelnd erledige.
Der Casentino, gerade regnet es mal nicht (aber bald...) |
Suchbild: hier liegt irgendwo mein "Steckerteller" (immer noch) |
Die Einsiedlerhäuser der Camaldulenser (durch Gitter fotografiert) |
Am liebsten würde ich in Camaldoli eine Herberge suchen, aber das Zimmer in Badia Prataglia ist bestellt und ich mag nicht (schon wieder) früher aufgeben als geplant. Anders als von Kees beschrieben, habe ich die Etappen drei und vier zu einer zusammengefasst. Der Weg hinunter nach Badia ist durch den Regen aufgeweicht und wesentlich anspruchsvoller, als die drei lapidaren Sätze von Kees als Beschreibung vermuten lassen. Jedenfalls bin ich richtig froh, als ich endlich die Asphaltstraße zu meinem ersehnten Zielort erreiche. Meine Tibialis-anterior-Tendinitis meldet sich schlagartig, als ich vollgas Richtung Herberge sprinte. Diesen reißenden Schmerz im Schienbein kenne ich nur zu gut, mein gefürchteter Wegbegleiter, wenn ich zu schnell eher renne als gehe (oft nach endlosen Betriebsratsitzungen erlebt, wenn es galt, den letzten brauchbaren Zug heimwärts zu erwischen). Ein bedächtigeres Tempo plus einem endlos im Kopfradio gesungenen "Ubi caritas" besänftigen diesen ungebetenen Besucher tatsächlich schnell wieder, so dass ich wieder besser gelaunt im Albergo Giardino einlaufe.
Das Zimmer im Giardino ist zwar billig, erinnert in Temparatur und Feuchte jedoch eher an die Zelle eines Eremiten. Ich überwinde meine Scheu und erkläre nach kurzer Leo-Recherche bestimmt, dass riscaldamento non funzioná - was hektische Arbeiten an der Heizung nach sich zieht. Nach dem Besuch der Abendmesse und Skypeanruf daheim (die Zwillinge sind wohlbehalten auf der Welt, auch la Mamma ist gesund) begrüßt mich der karge Raum mit annehmbarer Temperatur. Mein Nachspüren am Ende der Etappe mündet dann (wohl in Gedanken an die extrem spartanische Klause Romualds) in schlechtem Gewissen wegen meines Luxuspilger-Snobismus. Heute konnte ich meine ansonsten egozentrischen Gedanken zumindest kurzfristig auf größere Zusammenhänge lenken.
Das traditionelle Albergo-Abendessen (Pasta e Ragu/Pollo e Pommes) runde ich mit einem Prosit auf die neuen Erdenbürger ab. Da ich wie üblich alleine im Ristorante sitze, proste ich mir selbst mit einem Schnapserl zu und gönne mir in Anlehnung an die Zwillinge ein zweites Bier. Auch weil sich heute eine pilgerische Zufriedenheit einstellt, 21 km, darunter eine veritable Bergtour findet der kritische Geist ganz annehmbar.
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