Sie passten wie angegossen, auch mit Wandersocken. Sie sind praktisch, Funktionsmembran, quasi wasserdicht. Dazu nicht der übliche Bergschuh-Look - coole Treter für einen Pilger auf dem Weg in ein modebewusstes Land.
Nur: Nach 2 Stunden halte ich die Hanwags fast nicht mehr aus. Rote, wundgescheuerte Knöchel sind die Folge, egal welche Therapie ich einsetze. Der Kampf um die richtige Entscheidung, mit welchen Schuhen ich nun aufbreche, hat sich zum "zentralen" Pilgerthema entwickelt. Eine interessante Analogie zum wirklichen Leben baut sich auf - wie lange verbleibe ich aus gut abgewogenen (also meist finanziellen) Gründen in einer subjektiv als schmerzlich empfundenen Situation. "Alternativlos" - am Schwarzenberg hätte ich die Hanwags in den von Naturfreunden liebevoll ins Grün integrierten Mülleimer geworfen, wenn die Alternative nicht Barfuß-Gehen bedeutete. "Durchhalten" - Stimmen erklingen wie: "Das wird schon, man gewöhnt sich an alles, Warmduscher!". Dazu: "Verschwendung" - Kann ich das viele Geld für die knöchelmordenden Edeltreter einfach so in den Sand setzen? Und: Sind das meine eigenen Stimmen, die ich da vernehme?
In Punkto Schuhe nutze ich meine neue Freiheit und besorge mir beim letzten Besuch bei Schuhwiedu neben einer Winterausrüstung neue "traditionelle" Leder-Bergschuhe. Praktischerweise übernimmt Gerda die Hanwags (wir haben tatsächlich die gleiche Schuhgröße, ein möglicherweise irreführender Hinweis auf Kompatibilität in anderen Bereichen). Die Geldstimme ist damit wieder beruhigt. Es bleibt die Befürchtung, dass nicht die Schuhe die Ursache meiner Misere sind. Wird sich auf dem Anstieg auf den Passo della Consuma zeigen. Die neuen LOWAs kommen kaum getragen, aber liebevoll eingefettet mit.
Überhaupt sind die reiserelevanten Themen, die angesichts des unmittelbar bevorstehenden Abreisetermins nach Erledigung verlangen, eine willkommene Ablenkung vom Abschiedsschmerz, der sich fast schon körperlich fühlbar ankündigt. Auch wenn es in der Familie die letzten Wochen wenig harmonisch war - es ist ein grausamer Gedanke, wochenlang von Frau, Kind, Familien und Freunden getrennt zu sein. Fast nahtlos schließt sich die Befürchtung an, diese Herausforderung nicht stemmen zu können. Plus: ich kann mich nicht erinnern, jemals so lange Zeit alleine gewesen zu sein.
Unser Pfarrer sorgt neben weiteren Contra-Argumenten der Pilgerreise ("Hast du vielleicht nicht den Mut oder die Kraft mit deiner Familie über dein Inneres zu reden") am Sonntag nach dem Gottesdienst für spirituellen Beistand. Der Pilgersegen im kleinen Kreis verscheucht für die nächsten Stunden alle Gedanken an einen Abbruch des Projektes im letzten Moment. Genau im richtigen Augenblick ruft dazu mein alter Freund Robert an und stellt in Aussicht, die letzten Etappen nach Rom mitzugehen. Auf teilweise extrem anmutenden Bayerwaldwanderungen leisteten wir einander Beistand in Zuhören und Mitgehen in Zeiten, als unsere Boote nahe am Kentern waren. Wärme und Zuversicht erfüllen mich bei dem Gedanken, solch intensive Gespräche auch in das Franziskusweg-Abenteuer integrieren zu können.
Genug Futter also für meinen ängstlichen und wankelmütigen Pilger-Spirit. Alle anderen Aktivitäten sind erledigt, auch der Antrag auf Förderung der Selbständigkeit liegt bei der AA, diese Nacht ist vorläufig die letzte in meinem Bett, schlaflos wie die letzten auch, vermutlich.
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