Die Eltern sind dann doch überrascht, dass ich wirklich aufbreche, anscheinend haben sie mit einem Vernunftsdurchbruch im letzten Moment fest gerechnet. Doch auch hier verläuft der Abschied dann friedlich - sogar mit ungewohnt liebevoller Umarmung. Gerda verbeißt sich tapfer alle weiteren Tränen und mit entschlossenen Schritten verlasse ich das von wohligem Holzfeuer durchwärmte Haus und mache mich auf den Weg in die kalte Nacht.
In Monaco Centrale erwartet mich am Gleis 12 nicht der erhoffte CNL485, sondern ein kleiner Trupp vergnügter Reisender, die nach dem Zug Richtung Italien Ausschau halten. Die halbe Stunde Verspätung lassen erste Zweifel aufkommen, ob ich genügend warme Klamotten dabei habe (wer anders als meine Mutter hatte das ohnehin vermutet). Der Nachtzug erweist sich als fahrendes Nachtlager, ich beziehe ein Abteil für mich, weitere Reisende werden mich wohl ab Kufstein begleiten. In der Nachbarschaft klimpert leise Gitarrenmusik zu mir herüber, unerwartete Wohligkeit macht sich im klammen Bett breit und so wache ich erst auf, als der resolute Schaffner die Türe aufreißt und mein Ticket abstempelt. Die in Österreich zugestiegene Reisebegleiterin (im Halbschlaf und im Halbdunkel der bläulich schimmernden Lampe erkenne ich eine dunkelhäutige Frau mit leichtem Gepäck) verlässt meine Reiseoase in Innsbruck gleich wieder. Ich höre Sie im Gang mit dem controllore verhandeln - wahrscheinlich rede ich im Schlaf von Schuhproblemen - und sie verlangt nach einem sicheren Abteil in der Nachbarschaft. So kann ich mich bis Florenz schon in Einsamkeit üben - der Zug kommt pünktlich dort an.
Firenze ist nicht wiederzuerkennen. Vor fast dreißig Jahren in den ersten "Flitterwochen" ein wunderbarer Alptraum, Menschenmassen wälzten sich zusammen mit uns kulturbeflissen durch die engen Straßen. Heute habe ich die alte Dame für mich, alle Geschäfte um diese Zeit natürlich noch rigoros verschlossen. Nur einige Caffé versorgen Frühaufsteher mit dem Nötigsten auf dem Weg in die Arbeit, während ich etwas planlos durch die Innenstadt geistere. Der Ponte Vecchio im Morgenrot - wäre ein schönes Motiv geworden, doch die Kamera liegt im deponierten Rucksack.
So bleibt auch die morgendliche Kulisse von S. Croce ohne Foto - Kees (mein Reiseführer) erzählt, dass Franz von Assisi den Bau dieser Kirche initiiert hat und Michelangelo hier beigesetzt wurde. Ab 09:30 sind Besucher willkommen - da bin ich schon den ersten Anstieg hoch (hoffentlich). Ich begnüge mich mit einem rituellen Gang um die Kirche herum und wandere zurück zum Bahnhof durch die immer belebtere Stadt. Das von Kees empfohlene Geschäft mit den Detailkarten der Wanderung öffnet um 10(!) - macht nichts, spare ich das Gewicht auf der ersten Etappe und kaufe die Dinger morgen in Consuma.
Kees empfiehlt, die erste Etappe per Zug zurückzulegen. Sein Weg beginnt in S. Ellero. Ich beschließe, diesem Rat zu folgen. Mit dem am Automaten erworbenen Ticket wähne ich mich gut gerüstet im Zug Richtung Arezzo - leider falsch gedacht, denn ich habe das Ticket nicht entwertet. Und so stehe ich bei der Fahrscheinkontrolle gleich im Mittelpunkt - viaggio senza il biglietto! Sollte mir als MVV-Kunde eigentlich nicht passieren. Doch mit freundlicher Übersetzung eines Mitreisenden bekomme ich den Kopf wieder aus der Schlinge und werde "nur" streng ermahnt. Mit den Einheimischen ins Gespräch kommen hatte ich mir anders vorgestellt.
Mein erstes Foto auf der Reise wird somit der "Start-Wegweiser" meiner Tour am Bahnhof von San Ellero, wo Kees in Holz den Weg nach Assisi ankündigt. Die Wegbeschreibung des ersten Tages trifft die Realität sehr genau - immer den Weiß-roten Markierungen längs. An abgehobenes Sinnieren und meditatives Gehen ist allerdings nicht zu denken - einmal nicht aufgepasst, schon ist eine Markierung übersehen. Leider hatte ich den Kauf detaillierter Wanderkarten bis Florenz aufgeschoben, doch der Laden hat jetzt noch geschlossen.
Auf dem Weg nach Magnale |
Angesichts der tristen Kulisse (Familie Landini sitzt vor der Glotze und ignoriert mich ebenso wie das prasselnde Schauspiel im Kamin, Sohnemann vergnügt sich am Laptop mit virtuellen Massenmorden) schlinge ich lustlos meine Pasta herunter und verziehe mich in mein stilles Pilgerkammerl. Ein spannender Tag war das, trotz fehlender Muße zum Nachdenken zeigen sich direkte Zeiger zu meinem Leben. Fast zu lange bei den Toten verweilt, beim Priester nass geworden, Schutz gefunden in der Spiritualität. Dazu die lapidare Feststellung, dass italienisches Tivu das deutsche in Dämlichkeit leicht toppt, vermischt mit der Einsicht, dass ein überstürzter Aufbruch (wie der Sprint zur Pfarrerswohnung) mehr schadet als nutzt. Vermisse die beiden Mädels sehr. Mein Anruf daheim fiel seltsam distanziert aus, nur mit Antonia und Bello hatte ich Spaß.
Trotz bleierner Müdigkeit lässt mich eine klappernde Türe nicht so recht einschlafen, bis ich den Allerwertesten doch hoch bekomme und das labile Scharnier mit einem Wanderstock fixiere. Die letzten Gedankenfetzen: Morgen! Gartenschere! Danke, Schuhe! Allein...
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