Montag, 21. Januar 2013

Selbstzweifel

Nach der ersten Euphorie macht sich nun eine lähmende Ernüchterung breit. 

Die als Simulation einer Tagesetappe geplante Wanderung nach Birkenstein entpuppt sich als Fiasko. Der Rucksack (beladen mit zehn Kilo liebevoll von meiner Frau Gerda bemalten Motivationssteinen) zieht mich (gerade deshalb?) auf den Bergetappen beinahe ins Tal zurück, die wohlgewählten Schuhe scheuern meine Knöchelregion wund. Mitten in Oberbayern (!) verlaufe ich mich trotz GPS - als spiritueller Tiefschlag verstört mich anschließend der Kult am Marienwallfahrtsort zutiefst und so verbringe ich die Rückfahrt (Gerda wollte mich unbedingt abholen) in verbittertem Schweigen voller Selbstzweifel und -hass.

Wie soll ich mich in Italien zurecht finden, wo die Frage nach dem Weg nicht einfacher wird (was nicht nur an der Sprachbarriere liegt), wie soll ich den mit realem Gepäck noch mindestens 2 Kilo schwereren Rucksack schultern, meine Kondition ist mäßig, mein durch harte IT-Arbeit verweichlichter Muskelapparat verlangt nach einer Badewanne und Ruhe. Und vor allem: Was zieht mich nach Rom, zum spirituellen Zentrum meines Glaubens? Der Prunk, der Autoritäts-Apparat, der ganze Papstkult erscheinen mir wie Hohn. Dies soll der Nachfolge Jesu  entsprechen?

Dazu wird der Gegenwind aus dem Umfeld nicht geringer. Der Titel von Hape Kerkelings Santiago-Buch "ich bin dann mal weg" erscheint mir immer plausibler. Je mehr ich zu begründen suche, desto tiefer versinke ich in Selbstzweifeln. Denn alle Contra-Argumente erscheinen plausibel - ein sofortiger adäquater Anschlussjob rettet die Stringenz des Lebenslaufs, meine Familie braucht mich jetzt, nutze die freie Zeit für das Gemeinwohl, die Gemeinde braucht Unterstützung. Gerda macht zwar alle Vorbereitungen tapfer mit, aber ihr verweintes Gesicht spricht Bände.

Nur leise dringt da noch die Stimme durch - "wenn Du das nicht jetzt machst, dann wahrscheinlich nie mehr". Letztendlich trägt dieser Gedanke mein Pilgerprojekt und wie im Autopilot-Modus vervollständige ich meine Ausrüstung unter dem Motto "weniger ist mehr". Die schmerzenden Schultern vermiesen mir jedes Gepäckstück und so bleiben alle Bücher (beim Reiseführer mache ich eine Ausnahme) daheim. Hauptproblem bleibt das Schuhthema - die neuen Bergstiefel von Schuhwiedu werde ich wohl nicht den ganzen Tag tragen können, da müssen die ausgelatschten Merrells doch noch mit. Dagegen bleiben Schlafsack, Isomatte und Zelt auch daheim - ich werde Luxuspilger. Die ersten Quartiere sind online erkundet, nur in La Verna gibt es wegen eines Jugendtreffs zur gleichen Zeit keinen Platz für mich. Der Nachtzug nach Florenz passt wunderbar (gut 4 Stunden später wäre er am Ziel meiner ca. 450km-Pilgerreise, ich rechne mit 4 Wochen). Dann mit Lufthansa zurück nach München und voll motiviert und bewusst die nächsten Schritte anpacken. Sagt man so etwas? Ich höre mich schon an wie mein eigener "Coach".


Im lokalen Heimwerkermarkt habe ich mir eine Gartenschere besorgt. Kees Roodenburg, der Autor meines Pilgerführers, empfiehlt derartiges Werkzeug, um etwaiges Gestrüpp auf der zweiten Etappe zu durchdringen. 250 Gramm mehr Gewicht durch dieses Erzeugnis vermutlich fernöstlicher Bauart, doch nicht das Gewicht plagt mich (noch?). Nach meinen deprimierenden Erfahrungen in freier Navigation Richtung heimatlicher Berge lässt mich der Gedanke an solch "extreme" Herausforderungen wie unmarkierte und zugewachsene Wege in unbekannter Region sehr schlecht schlafen.

1 Kommentar:

  1. Lieber Adam,
    ich kann deine momentanen Zweifel so gut nachvollziehen. Der Wind, der einem bei solchen Entscheidungen entgegen weht, kann manchmal ziemlich schmerzhaft sein und Verunsicherung hinterlassen. Ich wünsche dir von Herzen, dass du trotzdem auf deine (wenn auch ab und zu nur sehr leise) innere Stimme hören kannst. Und dass du dich weiterhin um die Vervollständigung deiner Ausrüstung kümmerst, ist doch ein gutes Zeichen....
    Und wenn du mal wieder schlecht schläfst, hier ein Buchtipp für dich :
    Paulo Coelho "Auf dem Jakobsweg" - hat mir sehr gut gefallen..
    Herzliche Grüße, Karuna

    Tu zuerst das Notwendige, dann das Mögliche, und plötzlich schaffst du das Unmögliche.
    Franz von Assisi

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