Mittwoch, 30. Januar 2013

Passo della consuma - Stia

Die sechzehn Kilometer Wegstrecke und tausend Höhenmeter von gestern haben doch nicht zum befürchteten Muskelkater geführt, auch die Füße in bester Verfassung und dennoch - ich finde mich am Morgen in einer Saulaune wieder. Liegt´s am penetrant pfeifenden Luciano? Wohl hauptsächlich am Wetter, der vermeintliche Nebel draußen scheint doch eher eine fette Wolke zu sein, die sich am Miramonti festklammert, bis der letzte Tropfen abgeregnet ist. Papa Landini kassiert freundlich interessiert die 50 Euro für Herberge und Abendessen (ohne TV-Zerstreuung zeigt sich ein ganz anderer Mensch) und gewährt mir neben Pilger-Rabatt auch noch ein frisches Hörnchen und einen Cappu an der Bar auf Kosten des Hauses. 

Um kurz nach acht mahnt nachlassender Regen zum Aufbruch, der in einem dreifachen Reinfall mündet. Zuerst versinke ich in Consuma mit einem Bein in einem beinahe knietiefen Schlammloch, das Il Varico (die zweite Wahl, um Detailkarten zu besorgen) wird gerade umgebaut und bevor ich mich darüber aufregen kann, gießt es plötzlich wieder in Strömen. Am Unterstand kurbelt ein freundlicher Fordfahrer die Scheibe herunter und will mich offenbar nach Pratovecchio mitnehmen. Ich lasse ihn (warum auch immer - der Ort liegt kurz vor meinem heute immer unerreichbarerem Ziel Stia) sausen und flüchte mich in die Bar an der Hauptstraße, weil der Regen sich zum Wolkenbruch entwickelt.

Obwohl ich bisher noch keinen anderen Wanderer getroffen habe, scheint an der Theke dort mein Setting mit Rucksack, Wanderstöcken und verzweifeltem Gesichtsausdruck nicht ungewöhnlich zu sein. Die frischen Pizzascheiben und der Cappu bringen mich wieder auf Trab, wie geht´s aber weiter? Die heutige Etappe ist nicht einfach zu navigieren. Alleine im Dauerregen durch unmarkiertes Terrain ist mir zu risky, aber schon am zweiten Tag aufgeben und in den Bus steigen?

Doch das Wetter wird nicht besser und so kaufe ich mir demütig neben einer Casentino-Wanderkarte ein Busticket Richtung Stia, eine Kombination, die mir anstatt des befürchteten Spottes ein aufmunterndes Lächeln einbringt. Ich muss irgendwann umsteigen, daher lerne ich noch einen Satz auswendig (puo´d irmi quando devo scendere). Weil er mir aber beim Einsteigen nicht über die Lippen kommen mag, verpasse ich beinahe den Absprung und hechte im letzten Moment am Umstiegsort in den wartenden Bus nach - Pratovecchio. Auch ohne meditatives Gehen holt mich gleich zu Beginn meiner Reise das Thema "Feigheit" gnadenlos ein.

In Pratovecchio verscheuche ich die selbstquälerischen Gedanken (auch die Gartenschere kommt darin vor), indem ich selbstbewusst den Bus verlasse - es regnet nicht mehr so stark - und auf gut ausgebautem Weg meine restliche Tagesetappe nach Stia doch noch in den vor Nässe quietschenden Merrells zu Fuß zurücklege. 

Meine Befürchtungen, in meinem Aufzug im Albergo Falterona (eine Empfehlung von Kees) abgewiesen zu werden, sind grundlos. Eine wahre Ritterburg, behaglich und so gar nicht Pilger-like.  Dafür ausgestattet mit einem leistungsfähigen Haartrockner, der die Stromrechnung an diesem Nachmittag wohl erheblich belastet hat.


Dann besinne ich mich wieder auf den Mentor meiner Pilgerreise und finde einen ersten Hinweis auf Franz von Assisi oberhalb eines Torbogens. In Santa Maria Assunta spende ich ein Kerzerl und denke dabei an die Menschen in meinem Umfeld, bete für eine glückliche Geburt (eine gute Freundin Gerdas  wird die nächsten Tage Zwillinge zur Welt bringen) und Klärung von Verwirrung - dies auch in eigener Sache. 

Da der Regen eine Pause einlegt, erkunde ich noch das Castello Porciano, mehr um die Verfassung der Merrells zu testen, denen Schlammbad und Fön übel zugesetzt haben. Im Falterona verpasse ich ihnen noch eine Schicht Stiefelfett, ultima ratio, vor dem Totalausfall. Mehr Sightseeing gibt es in Stia nicht, Franz war wohl hier, auf dem Weg nach Camaldoli, wo ich morgen sein werde.

Als wieder Regen einsetzt, verkrümele ich mich in mein Ritterrefugium und lerne einige parole - ich sollte a presto meine Scheu überwinden, italienisch zu sprechen. Englisch ist nicht so verbreitet, wie ich erhofft habe. Zum wandernden Einsiedler möchte ich auf keinen Fall werden.
Und trotzdem sitze ich in der Osteria Caranbar alleine (wohl zu früh für italienische Verhältnisse) bei einem grandiosen Abendmahl. Es werden salumi del Casentino serviert, Gnocchi mit Pecorino und Radicchio dazu ein wunderbarer Rotwein. Schade, dass ich mir dieses Festmahl nicht mit einer mutigen Wanderung "verdient" habe. Ich genieße es trotzdem und verbringe nach dem obligatorischen Anruf daheim (alles ok, noch keine Geburten vermeldet) eine ruhige Nacht im Falterona. Morgen steht eine anspruchsvolle Etappe bevor, aber am Zielort gibt´s eine Herberge für mich, meine Reservierung per Mail (auf englisch) wurde bestätigt. Buon viaggio a domani!

1 Kommentar:

  1. Lieber Adam, sehr gespannt warte ich täglich auf deine neuesten Erfahrungsberichte, die du - zu meiner großen Freude - hier im Blog mit uns teilst. Sturm und Regen haben uns hier in der Heimat auch gerade fest im Griff, aber das hat dir dein Töchterlein sicher auch schon erzählt...
    Mir macht dich deine bisher noch nicht abgelegte Scheu, italienisch zu sprechen, allerdings überaus sympathisch (Ich kenne das aus eigener Erfahrung nur allzu gut - dieser meist überflüssige Perfektionsdrang...) Bestimmt wird das die nächsten Tage besser, warte nur, bis eine attraktive Italienerin an deinem Nebentisch sitzt... ;-)
    Im Übrigen finde ich deine Entscheidung, bei so einem Sauwetter in den Bus zu steigen, total in Ordnung - du hast dich ja schließlich nicht aufgemacht zum Pilgern, um für irgend etwas Buße zu tun...
    Also, erfreue dich an Italien und genieße deinen Weg - ich hoffe natürlich, du hattest heute besseres Wetter....
    PS: Deine Fotos wecken meine Sehnsucht nach dieser Gegend, vielleicht sollte ich schon mal Urlaubspläne schmieden. Auf jeden Fall werde ich mir jetzt ein Gläschen Chianti Rufino schmecken lassen, ein bisschen von Italien träumen und an dich denken..
    LG Ka

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