Dienstag, 5. Februar 2013

Pietralunga und Il Pioppo

Mit einem endlos gesungenen Gayatri Mantra finde ich doch noch meinen Schlaf, in Gedanken noch beim Besuch im Kräuterladen von Luisella, wo Lucas wortreich in spanisch-englischem Kauderwelsch Mate zu kaufen suchte und mit der faszinierten Ladenbesitzerin sofort in guten Kontakt kam. Offenbar wird Neid zum Hauptthema meiner Pilgerreise - ich meditiere über Eifersucht und den Kailash, ein weiteres Traumziel. 
 

Volto Santo, das heilige Antlitz
Am Morgen habe ich es dann eilig, aus dem Fiorentino abzureisen. "Meine" Australier sind wohl schon in Assisi, unserem gemeinsamen Zwischenziel. Ich lasse den verwaisten Frühstücksraum daher ohne Aufenthalt sausen und marschiere zum Busbahnhof, nicht ohne in der Kathedrale von Sansepolcro (auf übereinstimmenden Rat von Paola und Kees) das Kruzifix mit dem Volto Santo aus karolingischer Zeit zu besuchen. Ein eigenartiger Reiz geht von diesem intensiven Blick vom Kreuz aus, demütig hingegeben, nicht unähnlich Gerdas Ausdruck bei meiner Abreise. Oh je, ich mache mich schon über kirchliche Kunstwerke und meine Frau lustig. Gesammelte Pilgerstimmung sieht wohl anders aus. Zum Glück habe ich Gerda heute in der Früh am Handy erreicht, bevor sie Antonia in den Kindergarten brachte. Meckis Sinnkrise ist derzeit Tagesgespräch. Bello erzählt mir, was er in der Hundeschule gelernt hat. Ich vermisse das Morgenritual mit Antonia gerade wieder sehr.

Um mich wieder auf die katholische Spur zu setzen, besuche ich in Città di Castello die Frühmesse, der ich weitgehend folgen kann. Inmitten einer gläubigen Rentnerschar falle ich auf wie ein Rocker im Festspielhaus. Mit gemischten Gefühlen verlasse ich blinzelnd ob der strahlenden Sonne draußen das finstere Gotteshaus. Am Busbahnhof dann die Ernüchterung: Der Bus nach Pietralunga fährt feierabendgemäß erst um 17 Uhr und ein grantiger Taxifahrer (im Jägerdress, vermutlich hortet er Patronen im Handschuhfach) verlangt 50 Euro. So suche ich mir auf der Landkarte einen Wanderweg dorthin, auch um mein schlechtes Gewissen wegen der Abkürzung zu mindern.

Von Kees verlassen (seine Route geht weiter nördlich via Lama und Bocca Serriola nach Pietralunga), wandere ich die ersten Kilometer bergauf in der prallen Sonne auf der Hauptstraße - weiter vorn soll der Wanderweg 109b mich Richtung meines heutigen Tagesziels bringen. Schüchterne Versuche des Autostops werden von den vorbeirauschenden conduttori souverän ignoriert. Beängstigenderweise legt ein entgegenkommender Alfa bei meinem Anblick eine Vollbremsung hin, wendet und fährt langsam wieder hinter mir her. Unangenehme Erinnerungen an Raul und das Schweigen der Lämmer werden wach, bis sich Davide, ein freundlicher Herr im Rentenalter, am herunter gefahrenen Fenster als Hüter des "Il Pioppo" zu erkennen gibt und mir anbietet, in seinem Refugio auf dem Weg nach Pietralunga zu übernachten. Was bin ich für ein Schisser! Wir verabreden, dass ich mich telefonisch bei ihm melde, wenn ich von weiteren Gefahren unbehelligt abends seine casa erreicht habe. Wieder wendet er lässig seinen schnittigen 156er und brettert weiter nach Città.  Ein Moment im Leben, der mir das Gefühl von Geleitetsein vermittelt.


Umbrien von einer seiner besten Seiten
Bald finde ich den Einstieg in den auch von Davide angekündigten Wanderweg. Zum ersten Mal während meiner Tage in Italien fühle ich mich rundum wohl, genieße den wunderbaren Weg durch die einsamen Wälder und freue mich auf den Abend im ersten "richtigen" Refugio. Die Aussicht über die Berge und Hügel Umbriens ist einfach nur überwältigend, ganz behutsam setze ich meine Schritte, genieße mein Privileg, hier und heute durch diese prachtvolle Natur zu pilgern. Ich sollte Kees von dieser alternativen Route erzählen, er würde diesen Weg bestimmt schätzen. 

Nach Überqueren mehrerer bewaldeter Hügel stoße ich auf eine breite Forststraße, die nach Pietralunga hinabführt. Heute traf ich auf die ersten Wegweiser nach Assisi, wo ich mir mehr Atmen von franziskanischer Luft und Geisteshaltung erhoffe. Unterwegs treffe ich jetzt häufiger auf Siedlungen, zuerst verlassene Ruinen, dann liebevoll restaurierte Anwesen, wo erfolgreiche Schriftsteller in meiner Phantasie einen Bestseller nach dem anderen verfassen.

Tatsächlich findet sich auch der versprochene Wegweiser zum "Il Pioppo", das verlassen in der warmen Sonne des Spätnachmittages auf mich wartet. Ich spreche Davide auf seine Mobilbox (hoffentlich, von der Ansage kapiere ich kein Wort) und schicke sicherheitshalber noch eine SMS hinterher. Dann mache ich es mir in einem der Gartenstühle bequem und sinniere über meine Anfänge als Pilger nach.

Zusammen mit Marina, der Frau meines Trauzeugen, war ich einige Male nach Altötting unterwegs. Zuerst als munteres Zweierteam, dann schließlich inmitten Rosenkranz-betender Menschenmassen auf dem Kapell-Platz in AÖ. Die Idee war ursprünglich der wenig katholisch anmutende Ansatz, diese Wallfahrt als Dank für die nicht für möglich gehaltene Scheidung von meiner ersten Frau anzutreten - ein Entschluss, der mich beim ersten Versuch bis über meine körperliche Grenzen führte. Was ja dann doch irgendwie wieder zum schrecklichen Ende meiner ersten Ehe passte.

Ein Verwandter von Lumpi hält Wacht am "Il Pioppo"
So langsam werde ich unruhig, es ist halb sechs, langsam wird es dunkel und kalt, kein Davide in Sicht. Erstmals beruhigt mich ein Hund, der eisern vor der Türe Wacht hält und mich nach kurzem Beschnuppern (vermutlich riechen meine Merrells schon nach altem Knochen) weitgehend ignoriert. Meine Raulbasierte Logik - wo Hund, da ist Herrchen nicht weit. Tatsächlich - bald begrüßen mich Davide und seine Frau wie einen alten Bekannten und weisen mich in die Infrastruktur des mit Sachverstand und Hingebung restaurierten Anwesens ein. 

Klar ist es im Zimmer nicht besonders warm, doch ich werde bald nach unten gebeten und nehme zusammen mit den Pettinaris ein köstliches Abendessen ein, es gibt Spaghetti mit Ragú (ok, hatte ich schon mal, aber nicht sooo lecker), patate fritte, insalata mista, cremigen Bel Paese und Weißwein, in den wir zu späterer Stunde als Dessert steinharte Cantuccini tunken - ein wundervoller Geschmack. Davide war Mathelehrer und lebt in Città di C. Mit seiner Familie hat er das Il Pioppo wieder zum Leben erweckt, im Sommer von Mountainbikern heiß begehrt, aber eigentlich als Pilger-Refugio geplant (wie Lucas Idee). Nicht umsonst haben viele reiche  Amerikaner und Briten die Häuser ringsum aufgekauft und restauriert - sie scheinen einen "Riecher" für wahre Werte zu besitzen - eine einzigartige Umgebung. 


Pilgervater und -mutter mit glücklichem Pelegrino
Anscheinend bin ich der erste, der diesen Service in Anspruch nimmt - daher die Aktion von heute Vormittag. Wir unterhalten uns über meine Reisepläne (Assisi - ok, aber Rom? - verrückt), meinen Job (was heißt Fußtritt gleich wieder auf italienisch?), Familie (e complicato...) und Kinder (more complicated). Als es immer kälter wird, darf auch Scorpio der Wachhund mit ins Haus und wir verkriechen uns fast unter den riesigen Kamin der urgemütlichen Küche. Leider wird das Foto nix, weil meine alte Kodak solche Lichtverhältnisse gar nicht abkann, aber die Stimmung abends im Pioppo werde ich nie vergessen. Molto Grazie Famiglia Pettinari! Irgendwann komme ich wieder, bald. 

Solcherart verwöhnt macht das Pilgerleben Spaß. Zum ersten Mal seit Monaten schlafe ich durch, keine Alpträume, kein Grübeln, mit den Klavier-Klängen, die mir Ka aufs Handy geschickt hat.





3 Kommentare:

  1. ..jetzt könnte es funktionieren..

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  2. Lieber Adam,
    Ja, ich habe schon so manche deiner Wege begleitet, so will ich es auch hier versuchen. Leider stelle ich zunächst fest, dass das Lesen hier einfacher ist als das Schreiben. Die Technik zeigt sich hier doch von ihrer tückischsten Seite, doch ich hoffe es ist wie mit deinen Schuhen und es läuft sich ein.
    Irgendwie sind da etliche Parallelen, selbst beim Lesen deiner Zeilen kommt erst langsam und gleichsam dazwischen der eigentliche Sinn deines Weges auf seinen Weg. Zunächst bleiben wir doch immer bei den Äußerlichkeiten hängen. Sie sind schließlich auch diejenigen, die Blasen verursachen, Zähne zeigen oder uns auch nur satt und zufrieden machen.
    Doch erinnere Dich an den euphorischen Moment der Geburt deiner Idee. Dieses Gefühl von Zeit und Spur, den Weg zum Wesentlichen. Und jetzt, verstrickt in die Notwendigkeit deines täglichen Weges, welchen Anteil hat da noch die Idee?
    Wenn Du schon die Strapazen dieses Pilgerweges auf Dich nimmst, irgendwie lässt Du ja nix aus, dann ist jetzt die Zeit nicht nur zu danken für eine Scheidung, sondern auch zu sehen welche Zeichen Dir der Weg für deinen zukünftigen Weg bereit hält.
    Über die schmerzenden Reibstellen der Technik ist es spät geworden, ich lasse Dich einfach weiter ziehen und bin gespannt wo Du mich noch hinführen wirst..
    Rob..

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  3. Ciao Rob, schön Dich hier zu lesen.
    Wegen der vielen Spam-Kommentare gibt es hier eine Zensur-Funktion und dein Input erscheint erst, wenn ich auf den ok-Button drücke.
    Ich hoffe, das ist ok für Dich.
    LG nach Monaco - AH

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