Donnerstag, 31. Januar 2013

Stia - Camaldoli - Badia Prataglia

Die ganze Nacht hindurch trommelt beharrlich der Regen gegen die Fenster meiner Luxuspilger-Herberge. Am Morgen erwartet mich an der Rezeption die Wettervorhersage mit der sibyllinischen Aussage tempo incerto - wechselhaft in Richtung mehr Sonne würde ich mehr begrüßen. Obwohl der Aufenthalt in Stia meiner Reisekasse einen empfindlichen Aderlass beschert hat, scheide ich nach einem opulenten Frühstück incl. Lunchpaket froh gemut von dieser beschaulichen Stadt.

Endlich geht der Weg nun einmal meditativ sanft durch die friedliche Hügellandschaft bergan. Meine Gedanken verweilen lange bei der werdenden Mutter, die nach geduldig ertragenem Singleleben endlich dem Mann ihrer nicht eben anspruchslosen Träume begegnete. Leider liegt zwischen den beiden eine halbtägige Zugfahrt und keiner der sehnsüchtigen Fernschmachter bringt es übers Herz, Heimat, Single-Dasein und als Erbe feststehendes Elternhaus samt Besatzung zurückzulassen. Nun gesellen sich Zwillinge zu dieser komplexen Konstellation, ohne dass dieser Zuwachs bislang zur Klärung der Situation in Richtung eheähnliches Zusammenleben beitragen konnte. Mein mentaler Anteil zu einer positiven Entwicklung muss sich trotz intensiven Nachdenkens auf fromme Gebete beschränken, denn kein noch so gut gemeinter Ratschlag will mir einfallen (noch stünde er mir zu). Da ich auf Nachrichten in Form von freudigen Geburtsanzeigen hoffe, bleibt das Handy ausnahmsweise an, doch bis zum Abend erreichen mich keinerlei Neuigkeiten aus dem Chiemgau, der Heimat von Gerdas Freundin.

Mit diesen Gedanken laufe ich im Dörfchen Lonnano ein und steuere zielsicher auf den winzigen Laden zu, der das kunterbunte Zentrum für die Bewohner abzugeben scheint. Die neugierigen Blicke legen die Vermutung nahe, dass Pilger nach Rom (der Gedanke erscheint mir gerade wieder aberwitzig) hier eher selten ihren Bedarf an Wasser und Obst ergänzen, so wie ich es freundlich lächelnd erledige. 

Der Casentino, gerade regnet es mal nicht (aber bald...)
Kurz nach Lonnano empfängt mich (jetzt wieder in Bergschuhen) der Casentino von einer dunklen Wolkenfront hinterlegt. Die gut markierte via legna zieht nun steil bergauf, was meiner guten Stimmung von heute morgen weniger abträglich ist, als der seltsame Feuchtnebel. Die Wolken haben mich mittlerweile eingeholt und obwohl es nicht richtig regnet, durchfeuchtet mich der Nebel systematisch. Am Croce Gaggi verzweifele ich fast - trotz Regenkleidung suppen mich der nun einsetzende Regen und ein ekelhaft kalter Wind immer mehr durch. Trotzdem schaffe ich Schritt vor Schritt zu setzen, immer Richtung Eremo di Camaldoli. Irgendwo im Matsch verliere ich leider den Teller eines Wanderstockes, der nun immer etwas tiefer einsackt, als der andere. Nur die Vorstellung, wie ich wohl einen Wanderstockteller im nächsten Ort mit Sportgeschäft zu ordern versuche, kann mich da noch aufheitern.
Suchbild: hier liegt irgendwo mein "Steckerteller" (immer noch)
Die Kamaldulenser, ein Orden gemeinsam lebender Eremiten, öffnen ihre Clausura nur stundenweise für neugierige Touristen. Dem beinahe apathisch ankommenden schlaflosen Pilger bietet sich eher der Eindruck eines sicher versperrten Knastes. Mir reicht´s ziemlich für heute - da ich am Mittag ankomme, sind logischerweise alle Einrichtungen wie Caffé, Klausen und Klosterladen geschlossen. So begnüge ich mich mit einer kurzen Runde durch die Basilika, werfe einen bewundernden Blick (ob der extremen Kargheit des Mobiliars) durchs Fenster der Zelle des hl. Romuald und brotzeite dann vor der Klosterpforte (trocken und windgeschützt), was mir wohlwollend erlaubt wird. DIe Idee einer Lebensgemeinschaft fasziniert mich seit langem - allerdings in einer weniger extremen Variante, als die Brüder im eremo sie praktizieren.

Die Einsiedlerhäuser der Camaldulenser (durch Gitter fotografiert)

Am liebsten würde ich in Camaldoli eine Herberge suchen, aber das Zimmer in Badia Prataglia ist bestellt und ich mag nicht (schon wieder) früher aufgeben als geplant. Anders als von Kees beschrieben, habe ich die Etappen drei und vier zu einer zusammengefasst. Der Weg hinunter nach Badia ist durch den Regen aufgeweicht und wesentlich anspruchsvoller, als die drei lapidaren Sätze von Kees als Beschreibung vermuten lassen. Jedenfalls bin ich richtig froh, als ich endlich die Asphaltstraße zu meinem ersehnten Zielort erreiche. Meine Tibialis-anterior-Tendinitis meldet sich schlagartig, als ich vollgas Richtung Herberge sprinte. Diesen reißenden Schmerz im Schienbein kenne ich nur zu gut, mein gefürchteter Wegbegleiter, wenn ich zu schnell eher renne als gehe (oft nach endlosen Betriebsratsitzungen erlebt, wenn es galt, den letzten brauchbaren Zug heimwärts zu erwischen). Ein bedächtigeres Tempo plus einem endlos im Kopfradio gesungenen "Ubi caritas" besänftigen diesen ungebetenen Besucher tatsächlich schnell wieder, so dass ich wieder besser gelaunt im Albergo Giardino einlaufe.

Das Zimmer im Giardino ist zwar billig, erinnert in Temparatur und Feuchte jedoch eher an die Zelle eines Eremiten. Ich überwinde meine Scheu und erkläre nach kurzer Leo-Recherche bestimmt, dass riscaldamento non funzioná - was hektische Arbeiten an der Heizung nach sich zieht. Nach dem Besuch der Abendmesse und Skypeanruf daheim (die Zwillinge sind wohlbehalten auf der Welt, auch la Mamma ist gesund) begrüßt mich der karge Raum mit annehmbarer Temperatur. Mein Nachspüren am Ende der Etappe mündet dann (wohl in Gedanken an die extrem spartanische Klause Romualds) in schlechtem Gewissen wegen meines Luxuspilger-Snobismus. Heute konnte ich meine ansonsten egozentrischen Gedanken zumindest kurzfristig auf größere Zusammenhänge lenken.

Das traditionelle Albergo-Abendessen (Pasta e Ragu/Pollo e Pommes) runde ich mit einem Prosit auf die neuen Erdenbürger ab. Da ich wie üblich alleine im Ristorante sitze, proste ich mir selbst mit einem Schnapserl zu und gönne mir in Anlehnung an die Zwillinge ein zweites Bier. Auch weil sich heute eine pilgerische Zufriedenheit einstellt, 21 km, darunter eine veritable Bergtour findet der kritische Geist ganz annehmbar.

Mittwoch, 30. Januar 2013

Passo della consuma - Stia

Die sechzehn Kilometer Wegstrecke und tausend Höhenmeter von gestern haben doch nicht zum befürchteten Muskelkater geführt, auch die Füße in bester Verfassung und dennoch - ich finde mich am Morgen in einer Saulaune wieder. Liegt´s am penetrant pfeifenden Luciano? Wohl hauptsächlich am Wetter, der vermeintliche Nebel draußen scheint doch eher eine fette Wolke zu sein, die sich am Miramonti festklammert, bis der letzte Tropfen abgeregnet ist. Papa Landini kassiert freundlich interessiert die 50 Euro für Herberge und Abendessen (ohne TV-Zerstreuung zeigt sich ein ganz anderer Mensch) und gewährt mir neben Pilger-Rabatt auch noch ein frisches Hörnchen und einen Cappu an der Bar auf Kosten des Hauses. 

Um kurz nach acht mahnt nachlassender Regen zum Aufbruch, der in einem dreifachen Reinfall mündet. Zuerst versinke ich in Consuma mit einem Bein in einem beinahe knietiefen Schlammloch, das Il Varico (die zweite Wahl, um Detailkarten zu besorgen) wird gerade umgebaut und bevor ich mich darüber aufregen kann, gießt es plötzlich wieder in Strömen. Am Unterstand kurbelt ein freundlicher Fordfahrer die Scheibe herunter und will mich offenbar nach Pratovecchio mitnehmen. Ich lasse ihn (warum auch immer - der Ort liegt kurz vor meinem heute immer unerreichbarerem Ziel Stia) sausen und flüchte mich in die Bar an der Hauptstraße, weil der Regen sich zum Wolkenbruch entwickelt.

Obwohl ich bisher noch keinen anderen Wanderer getroffen habe, scheint an der Theke dort mein Setting mit Rucksack, Wanderstöcken und verzweifeltem Gesichtsausdruck nicht ungewöhnlich zu sein. Die frischen Pizzascheiben und der Cappu bringen mich wieder auf Trab, wie geht´s aber weiter? Die heutige Etappe ist nicht einfach zu navigieren. Alleine im Dauerregen durch unmarkiertes Terrain ist mir zu risky, aber schon am zweiten Tag aufgeben und in den Bus steigen?

Doch das Wetter wird nicht besser und so kaufe ich mir demütig neben einer Casentino-Wanderkarte ein Busticket Richtung Stia, eine Kombination, die mir anstatt des befürchteten Spottes ein aufmunterndes Lächeln einbringt. Ich muss irgendwann umsteigen, daher lerne ich noch einen Satz auswendig (puo´d irmi quando devo scendere). Weil er mir aber beim Einsteigen nicht über die Lippen kommen mag, verpasse ich beinahe den Absprung und hechte im letzten Moment am Umstiegsort in den wartenden Bus nach - Pratovecchio. Auch ohne meditatives Gehen holt mich gleich zu Beginn meiner Reise das Thema "Feigheit" gnadenlos ein.

In Pratovecchio verscheuche ich die selbstquälerischen Gedanken (auch die Gartenschere kommt darin vor), indem ich selbstbewusst den Bus verlasse - es regnet nicht mehr so stark - und auf gut ausgebautem Weg meine restliche Tagesetappe nach Stia doch noch in den vor Nässe quietschenden Merrells zu Fuß zurücklege. 

Meine Befürchtungen, in meinem Aufzug im Albergo Falterona (eine Empfehlung von Kees) abgewiesen zu werden, sind grundlos. Eine wahre Ritterburg, behaglich und so gar nicht Pilger-like.  Dafür ausgestattet mit einem leistungsfähigen Haartrockner, der die Stromrechnung an diesem Nachmittag wohl erheblich belastet hat.


Dann besinne ich mich wieder auf den Mentor meiner Pilgerreise und finde einen ersten Hinweis auf Franz von Assisi oberhalb eines Torbogens. In Santa Maria Assunta spende ich ein Kerzerl und denke dabei an die Menschen in meinem Umfeld, bete für eine glückliche Geburt (eine gute Freundin Gerdas  wird die nächsten Tage Zwillinge zur Welt bringen) und Klärung von Verwirrung - dies auch in eigener Sache. 

Da der Regen eine Pause einlegt, erkunde ich noch das Castello Porciano, mehr um die Verfassung der Merrells zu testen, denen Schlammbad und Fön übel zugesetzt haben. Im Falterona verpasse ich ihnen noch eine Schicht Stiefelfett, ultima ratio, vor dem Totalausfall. Mehr Sightseeing gibt es in Stia nicht, Franz war wohl hier, auf dem Weg nach Camaldoli, wo ich morgen sein werde.

Als wieder Regen einsetzt, verkrümele ich mich in mein Ritterrefugium und lerne einige parole - ich sollte a presto meine Scheu überwinden, italienisch zu sprechen. Englisch ist nicht so verbreitet, wie ich erhofft habe. Zum wandernden Einsiedler möchte ich auf keinen Fall werden.
Und trotzdem sitze ich in der Osteria Caranbar alleine (wohl zu früh für italienische Verhältnisse) bei einem grandiosen Abendmahl. Es werden salumi del Casentino serviert, Gnocchi mit Pecorino und Radicchio dazu ein wunderbarer Rotwein. Schade, dass ich mir dieses Festmahl nicht mit einer mutigen Wanderung "verdient" habe. Ich genieße es trotzdem und verbringe nach dem obligatorischen Anruf daheim (alles ok, noch keine Geburten vermeldet) eine ruhige Nacht im Falterona. Morgen steht eine anspruchsvolle Etappe bevor, aber am Zielort gibt´s eine Herberge für mich, meine Reservierung per Mail (auf englisch) wurde bestätigt. Buon viaggio a domani!

München - Florenz - S. Ellero - Passo d. Consuma

Der letzte Tag daheim - voller Anspannung und vorweg genommenem Trennungsschmerz. Meine kleine Tochter bringe ich noch früh ins Bett und verspreche ganz oft anzurufen. Diesmal muss der kleine Stoffhund Bello intensiv mithelfen, die schwierige Materie zu vermitteln.

Die Eltern sind dann doch überrascht, dass ich wirklich aufbreche, anscheinend haben sie mit einem Vernunftsdurchbruch im letzten Moment fest gerechnet. Doch auch hier verläuft der Abschied dann friedlich - sogar mit ungewohnt liebevoller Umarmung.  Gerda verbeißt sich tapfer alle weiteren Tränen und mit entschlossenen Schritten verlasse ich das von wohligem Holzfeuer durchwärmte Haus und mache mich auf den Weg in die kalte Nacht.

In Monaco Centrale erwartet mich am Gleis 12 nicht der erhoffte CNL485, sondern ein kleiner Trupp vergnügter Reisender, die nach dem Zug Richtung Italien Ausschau halten. Die halbe Stunde Verspätung lassen erste Zweifel aufkommen, ob ich genügend warme Klamotten dabei habe (wer anders als meine Mutter hatte das ohnehin vermutet). Der Nachtzug erweist sich als fahrendes Nachtlager, ich beziehe ein Abteil für mich, weitere Reisende werden mich wohl ab Kufstein begleiten. In der Nachbarschaft klimpert leise Gitarrenmusik zu mir herüber, unerwartete Wohligkeit macht sich im klammen Bett breit und so wache ich erst auf, als der resolute Schaffner die Türe aufreißt und mein Ticket abstempelt. Die in Österreich zugestiegene Reisebegleiterin (im Halbschlaf und im Halbdunkel der bläulich schimmernden Lampe erkenne ich eine dunkelhäutige Frau mit leichtem Gepäck) verlässt meine Reiseoase in Innsbruck gleich wieder. Ich höre Sie im Gang mit dem controllore verhandeln - wahrscheinlich rede ich im Schlaf von Schuhproblemen - und sie verlangt nach einem sicheren Abteil in der Nachbarschaft. So kann ich mich bis Florenz schon in Einsamkeit üben - der Zug kommt pünktlich dort an.

Firenze ist nicht wiederzuerkennen. Vor fast dreißig Jahren in den ersten "Flitterwochen" ein wunderbarer Alptraum, Menschenmassen wälzten sich zusammen mit uns kulturbeflissen durch die engen Straßen. Heute habe ich die alte Dame für mich, alle Geschäfte um diese Zeit natürlich noch rigoros verschlossen. Nur einige Caffé versorgen Frühaufsteher mit dem Nötigsten auf dem Weg in die Arbeit, während ich etwas planlos durch die Innenstadt geistere. Der Ponte Vecchio im Morgenrot - wäre ein schönes Motiv geworden, doch die Kamera liegt im deponierten Rucksack.

So bleibt auch die morgendliche Kulisse von S. Croce ohne Foto - Kees (mein Reiseführer) erzählt, dass Franz von Assisi den Bau dieser Kirche initiiert hat und Michelangelo hier beigesetzt wurde. Ab 09:30 sind Besucher willkommen - da bin ich schon den ersten Anstieg hoch (hoffentlich). Ich begnüge mich mit einem rituellen Gang um die Kirche herum und wandere zurück zum Bahnhof durch die immer belebtere Stadt. Das von Kees empfohlene Geschäft mit den Detailkarten der Wanderung öffnet um 10(!) - macht nichts, spare ich das Gewicht auf der ersten Etappe und kaufe die Dinger morgen in Consuma.

Kees empfiehlt, die erste Etappe per Zug zurückzulegen. Sein Weg beginnt in S. Ellero. Ich beschließe, diesem Rat zu folgen. Mit dem am Automaten erworbenen Ticket wähne ich mich gut gerüstet im Zug Richtung Arezzo - leider falsch gedacht, denn ich habe das Ticket nicht entwertet. Und so stehe ich bei der Fahrscheinkontrolle gleich im Mittelpunkt - viaggio senza il biglietto! Sollte mir als MVV-Kunde eigentlich nicht passieren. Doch mit freundlicher Übersetzung eines Mitreisenden bekomme ich den Kopf wieder aus der Schlinge und werde "nur" streng ermahnt. Mit den Einheimischen ins Gespräch kommen hatte ich mir anders vorgestellt.



Mein erstes Foto auf der Reise wird somit der "Start-Wegweiser" meiner Tour am Bahnhof von San Ellero, wo Kees in Holz den Weg nach Assisi ankündigt. Die Wegbeschreibung des ersten Tages trifft die Realität sehr genau - immer den Weiß-roten Markierungen längs. An abgehobenes Sinnieren und meditatives Gehen ist allerdings nicht zu denken - einmal nicht aufgepasst, schon ist eine Markierung übersehen. Leider hatte ich den Kauf detaillierter Wanderkarten bis Florenz aufgeschoben, doch der Laden hat jetzt noch geschlossen.
 
Auf dem Weg nach Magnale
Während sich hinter mir der Himmel im freundlichen Blau zeigt, zieht von Südwest her eine tiefschwarze Wolkenwand auf mich zu. Ich schaffe es gerade noch in den Friedhof von Magnale, wo mich die Front einholt. Das wildeste Gewitter seit langem prasselt auf die gottverlassenen Grabstätten, während ich mich unter ein Schutzdach flüchte. Der Donner ballt sich zu einem Dauergrollen zusammen und ich sehe durch die dichten Regenschleier nicht einmal bis zur Friedhofsmauer. Die Wassermassen schwellen immer weiter an und drängen mich ins letzte Eck meines Unterstandes. Bald steht auch der unter Wasser und ich lasse die Toten zurück und ergreife die Flucht. In wildem Galopp umrunde ich die Friedhofsmauer und springe - in kürzester Zeit total durchnässt - in den Vorraum der Kirche, nachdem an der Tür des Pfarrhofes niemand auf mein verzweifeltes Klopfen reagiert hat. Im Rucksack ist zum Glück alles trocken geblieben und nach kurzem Kleiderwechsel entzünde ich ein Kerzerl und ziehe - jetzt in den Lowas - weiter.

Denn das Gewitter hat sich so schnell verzogen, wie es die Landschaft überfallen hat. Überall am Wegesrand künden dampfende Haufen von Hagelkörnern von der Gewalt meiner ersten Bekanntschaft mit toskanischem Wanderwetter. Der Wind bleibt nun mein Begleiter, die steilen Wege bergan zum Consuma-Pass ziehen durch sturmzerzauste Wälder. Für mich das Plus des Tages - meine nagelneuen Bergschuhe erweisen sich auch nach stundenlangem Gehen als Glückstreffer und geleiten mich gutmütig und sicher an die Hauptstraße zum Passo, wo das "Hotel Miramonti" sich wacker dem Unwetter gestellt hat. Im Zimmer angekommen schlafe ich nach Dusche und kurzer Handwäsche fast augenblicklich ein und tauche reichlich desorientiert erst zum Abendessen wieder auf, während draußen wieder der Regen unerbittlich herunterrauscht. 

Angesichts der tristen Kulisse (Familie Landini sitzt vor der Glotze und ignoriert mich ebenso wie das prasselnde Schauspiel im Kamin, Sohnemann vergnügt sich am Laptop mit virtuellen Massenmorden) schlinge ich lustlos meine Pasta herunter und verziehe mich in mein stilles Pilgerkammerl. Ein spannender Tag war das, trotz fehlender Muße zum Nachdenken zeigen sich direkte Zeiger zu meinem Leben. Fast zu lange bei den Toten verweilt, beim Priester nass geworden, Schutz gefunden in der Spiritualität. Dazu die lapidare Feststellung, dass italienisches Tivu das deutsche in Dämlichkeit leicht toppt, vermischt mit der Einsicht, dass ein überstürzter Aufbruch (wie der Sprint zur Pfarrerswohnung) mehr schadet als nutzt. Vermisse die beiden Mädels sehr. Mein Anruf daheim fiel seltsam distanziert aus, nur mit Antonia und Bello hatte ich Spaß. 

Trotz bleierner Müdigkeit lässt mich eine klappernde Türe nicht so recht einschlafen, bis ich den Allerwertesten doch hoch bekomme und das labile Scharnier mit einem Wanderstock fixiere. Die letzten Gedankenfetzen: Morgen! Gartenschere! Danke, Schuhe! Allein...





Dienstag, 29. Januar 2013

Neuland

Bucheinmerker für den Pilgerführer







Mitten in den letzten Vorbereitungen, ich selbst geistig schon halb auf dem Weg zum Münchner Hauptbahnhof, klingelt es an der Haustür - ein Blitzbesuch bringt eine wunderbar passende Mutmach-Abschiedskarte vorbei. Während sich der Mann im wartenden Auto wohl ungeduldig fragt, was er von dieser Aktion halten soll, wünscht mir Ka alles Gute und ist mit einem geflüsterten "Pass auf Dich auf" wieder dahin.



Und eines schönen Tages spürst du genügend
 Kraft, Mut und Zuversicht,
um Dich von den Fesseln 
des Zögerns und der Angst zu befreien
und etwas Neues zu beginnen.

Zusammen mit Familienfotos und anderen Devotionalien kommt die Karte in den Pilgerführer. Ein bemerkenswerter Kurzauftritt, aber ich komme (zum Glück?) nicht ins darüber Nachdenken.

Zum xten Mal gehe ich meine Ausrüstungliste durch, hake ab, überlege, ob ich nicht doch die große Taschenlampe mitnehmen soll (nein - Stirnlampe reicht), ob nicht eine größere Isomatte sinnvoll wäre (nein, das kleine Sitzpolster reicht), ob nicht doch ein weiteres "Ausgehhemd" dem Luxuspilger angemessen wäre (nein, notfalls kaufe ich eins unterwegs). Schließlich lasse ich alles, wie es ist und reserviere den Rest des Tages bis zum Abschied für meine traurige Familie. Ein kleines Festbankett ist geplant und danach Abschied im Haus, weil ich am Bahnhof sonst meinen moralischen bekommen würde. Grad spüre ich Angst und Zögern - Kraft - Mut - Zuversicht verzweifelt gesucht!

Montag, 28. Januar 2013

Pilgersegen

Sie passten wie angegossen, auch mit Wandersocken. Sie sind praktisch, Funktionsmembran, quasi wasserdicht. Dazu nicht der übliche Bergschuh-Look - coole Treter für einen Pilger auf dem Weg in ein modebewusstes Land.

Nur: Nach 2 Stunden halte ich die Hanwags fast nicht mehr aus. Rote, wundgescheuerte Knöchel sind die Folge, egal welche Therapie ich einsetze.  Der Kampf um die richtige Entscheidung, mit welchen Schuhen ich nun aufbreche, hat sich zum "zentralen" Pilgerthema entwickelt. Eine interessante Analogie zum wirklichen Leben baut sich auf - wie lange verbleibe ich aus gut abgewogenen (also meist finanziellen) Gründen in einer subjektiv als schmerzlich empfundenen Situation. "Alternativlos" - am Schwarzenberg hätte ich die Hanwags in den von Naturfreunden liebevoll ins Grün integrierten Mülleimer geworfen, wenn die Alternative nicht Barfuß-Gehen bedeutete. "Durchhalten" - Stimmen erklingen wie: "Das wird schon, man gewöhnt sich an alles, Warmduscher!". Dazu: "Verschwendung" - Kann ich das viele Geld für die knöchelmordenden Edeltreter einfach so in den Sand setzen? Und: Sind das meine eigenen Stimmen, die ich da vernehme?

In Punkto Schuhe nutze ich meine neue Freiheit und besorge mir beim letzten Besuch bei Schuhwiedu neben einer Winterausrüstung neue "traditionelle" Leder-Bergschuhe. Praktischerweise übernimmt Gerda die Hanwags (wir haben tatsächlich die gleiche Schuhgröße, ein möglicherweise irreführender Hinweis auf Kompatibilität in anderen Bereichen). Die Geldstimme ist damit wieder beruhigt. Es bleibt die Befürchtung, dass nicht die Schuhe die Ursache meiner Misere sind. Wird sich auf dem Anstieg auf den Passo della Consuma zeigen. Die neuen LOWAs kommen kaum getragen, aber liebevoll eingefettet mit.

Überhaupt sind die reiserelevanten Themen, die angesichts des unmittelbar bevorstehenden Abreisetermins nach Erledigung verlangen, eine willkommene Ablenkung vom Abschiedsschmerz, der sich fast schon körperlich fühlbar ankündigt. Auch wenn es in der Familie die letzten Wochen wenig harmonisch war - es ist ein grausamer Gedanke, wochenlang von Frau, Kind, Familien und Freunden getrennt zu sein. Fast nahtlos schließt sich die Befürchtung an, diese Herausforderung nicht stemmen zu können. Plus: ich kann mich nicht erinnern, jemals so lange Zeit alleine gewesen zu sein.

Unser Pfarrer sorgt neben weiteren Contra-Argumenten der Pilgerreise ("Hast du vielleicht nicht den Mut oder die Kraft mit deiner Familie über dein Inneres zu reden") am Sonntag nach dem Gottesdienst für spirituellen Beistand. Der Pilgersegen im kleinen Kreis verscheucht für die nächsten Stunden alle Gedanken an einen Abbruch des Projektes im letzten Moment. Genau im richtigen Augenblick ruft dazu mein alter Freund Robert an und stellt in Aussicht, die letzten Etappen nach Rom mitzugehen. Auf teilweise extrem anmutenden Bayerwaldwanderungen leisteten wir einander Beistand in Zuhören und Mitgehen in Zeiten, als unsere Boote nahe am Kentern waren. Wärme und Zuversicht erfüllen mich bei dem Gedanken, solch intensive Gespräche auch in das Franziskusweg-Abenteuer integrieren zu können.

Genug Futter also für meinen ängstlichen und wankelmütigen Pilger-Spirit. Alle anderen Aktivitäten sind erledigt, auch der Antrag auf Förderung der Selbständigkeit liegt bei der AA, diese Nacht ist vorläufig die letzte in meinem Bett, schlaflos wie die letzten auch, vermutlich. 

 

Freitag, 25. Januar 2013

Auf der Flucht

Die letzten Tage waren geprägt von hektischer Aktivität. Beinahe fühle ich mich wie ein Todgeweihter, der noch die "letzten Dinge" ordnet, bevor er sich in ein hoffentlich besseres Jenseits verabschiedet.

Denn während mein reisefertiger Rucksack als mahnendes "Auf geht´s" in der Ecke steht, haste ich atemlos von einem Termin zum nächsten. 

Die freundliche Dame von der Arbeitsagentur versorgt mich mit Packen von Formularen zum Thema Selbständigkeit. Sie erklärt mir langmütig, dass Jobs wie mein bisheriger für meine Altersklasse nur selten erreichbar sind, dass ich mir überlegen sollte, in Zeitarbeit oder (noch besser) in die Selbständigkeit zu gehen. Mein (aus ihrer Sicht) allzu bereitwilliges Einlenken während der Phase des Abschiedes von xXx-Software verträgt sich nicht recht mit meiner Position als Antragsteller für Leistungen ihrer Institution. Trotzdem nehmen wir heiter voneinander Abschied, meine Erwähnung des Franziskusweges ruft in ihr fast vergessene Erinnerungen an fröhliche Urlaubstage in Umbrien wach.

Spannender verläuft ein längerer Termin mit dem Steuerberater (als Pilgervorbereitung gehe ich die drei Kilometer in meinen Hanwags). Die Idee der Selbständigkeit macht er mir aus einer anderen Perspektive als die AA-Dame schmackhaft. Mit strengem Blick doziert er: "Die gesetzliche Rentenversicherung ist am Ende. Jeder Cent, den Sie da einzahlen, ist aus dem Fenster geworfenes Geld". Meine Eltern sehen das sicher anders. Wir diskutieren eifrig über die Umkehrung der Alterspyramide. Eines meiner derzeitigen Lieblingsthemen. Ein wenig halte ich zurück - ich mag diesen knorzigen Kerl einfach zu gern, aber ein paar Spitzen aus der Zeit, als mir ein so genannter Vermögensberater einen Riestervertrag aufschwatzen wollte, bekommt er trotzdem ab. Er verblüfft mich mit dem Vorschlag, mein Geld in eine agrarisch nutzbare Fläche zu investieren - "da haben Sie wenigstens noch zu essen, wenn unsere Währung den Bach hinunter geht".

Während der Zeit unseres Gesprächs haben sich meine Füße in den Bergschuhen deutlich ausgedehnt und wieder hinke ich mehr Richtung Heimat als ich gehe. Wie die Bilder eines Schnellmalers aus dem Nachtprogramm von B3 wird aus dem Wirrwarr der letzten Tage allerdings auch eine Perspektive immer deutlicher: Die Idee der Selbständigkeit verträgt sich wie "carrots and peas" mit der Vision des beruflichen Wandels Richtung Heilwesen. Die Frage nach dem "Warum?" dieses  Wechsels vertage ich auf die Zeit auf dem Weg nach Assisi. Denn nach einigen Minuten Gehens sitze ich im Auto von Mecki, einer guten Freundin aus meinem Ort, die mich vom Straßenrand aufliest. 

Hat sie mit Gerda diskutiert? Jedenfalls bekomme ich in den 5 Minuten in diesem Auto die Breitseite aller (verständlichen) Ängste meiner Frau ab. Meine Entgegnungen hören sich in meinen eigenen Ohren etwas lahm an. Zum Abschied erklärt Mecki im gleichen Ton, mit dem sie die Ergebnisse der Pfarrgemeinderatssitzung deklamiert: "Die Idee mit der Pilgerreise zu diesem Zeitpunkt ist doch reine Flucht aus der Realität. Statt abzuhauen, solltest Du Dich um Deine Zukunft und deine Familie kümmern. Die brauchen Dich jetzt!". Meine Bedürfnisse sind nicht Bestandteil Meckis Überlegungen. Daraufhin verlasse ich tatsächlich fluchtartig dieses Blech gewordene Gefängnis meiner eigenen düsteren Gedanken. 

Auf den letzten Metern vor meinem Haus treffe ich die Entscheidung: Am kommenden Dienstag geht´s los. Wieder spüre ich dabei die tiefe innere Überzeugung, dass ich das Richtige tue. Andiamo!





Dienstag, 22. Januar 2013

Ich packe (es?)


Während ein fast autonom wirkenderTeil von mir mit stumpfer Beharrlichkeit die Ausrüstung vervollständigt, sich um Informationen und Kontakte unterwegs kümmert, scheint ein größerer Anteil fast verzweifelt darum zu ringen, für das Projekt Franziskusweg Zustimmung zu gewinnen.

Ob ich damit versuche, die eigene Unsicherheit zu kaschieren, weiß ich nicht. Seit Jahren lebe ich nun im Familien- Firmen- und Glaubensverbund und habe mich offenbar daran gewöhnt, alle wesentlichen Themen gemeinsam und möglichst im Konsens zu entscheiden. Mit dieser Harmonie getriebenen Einstellung käme ich vermutlich im aktuellen Fall niemals ins gehen.

Umso mehr freuen mich die wenigen uneingeschränkt positiven Stimmen. Teilweise höre ich da mehr Vertrauen in meine Pläne heraus, als ich selbst gerade aufbringen kann.

Und so bin ich weiter unterwegs, um Regenkleidung, funktionelle Merinowäsche (ein Traum!) und endlosen Kleinkram zu besorgen, den ich nach den Erfahrungen Richtung Birkenstein gewichtsgeizig per Briefwaage vermesse. Letztendlich siegt die von keinerlei Erfahrung gestütze Überzeugung, dass alles schon irgendwie unterwegs gekauft werden kann. Und schon wiegt der Rucksack nur noch gut 10 Kilo.

Als weitere unbeholfene Vorbereitung gehe ich mit den neuen Bergschuhen umher (z.B. die letzten Kilometer zur vielleicht nächsten Station, einer Heilpraktikerschule), um die elenden Treter an meine Füße anzupassen (oder umgekehrt). Und so langsam werden wir fast wieder Freunde. Nach zwei Stunden sind die Knöchel allerdings wieder rot und so erreiche ich fast humpelnd mein Ziel. Gut, dass der Zug mich wieder zum Auto bringt.

Neben der Pilgerreise ist die Idee, meine Wege durch die Naturheilkunde auch beruflich zu verfolgen, schon seit gut zwei Jahren akut. Mit wachsendem Entsetzen über die unfassbaren Geschehnisse während der "schulmedizinischen Behandlung" begleitete ich in dieser düsteren Zeit meine krebskranke Frau durch die Krankheit. Diesmal siegte die Krankheit nicht, zu unser beider Glück. 

Was fehlt mir noch zum Start? Es gibt genügend Themen zu durchdenken, die Vorbereitungen sind weitgehend erledigt. Was heißt "ultreia" auf italienisch? Andiamo?


Montag, 21. Januar 2013

Selbstzweifel

Nach der ersten Euphorie macht sich nun eine lähmende Ernüchterung breit. 

Die als Simulation einer Tagesetappe geplante Wanderung nach Birkenstein entpuppt sich als Fiasko. Der Rucksack (beladen mit zehn Kilo liebevoll von meiner Frau Gerda bemalten Motivationssteinen) zieht mich (gerade deshalb?) auf den Bergetappen beinahe ins Tal zurück, die wohlgewählten Schuhe scheuern meine Knöchelregion wund. Mitten in Oberbayern (!) verlaufe ich mich trotz GPS - als spiritueller Tiefschlag verstört mich anschließend der Kult am Marienwallfahrtsort zutiefst und so verbringe ich die Rückfahrt (Gerda wollte mich unbedingt abholen) in verbittertem Schweigen voller Selbstzweifel und -hass.

Wie soll ich mich in Italien zurecht finden, wo die Frage nach dem Weg nicht einfacher wird (was nicht nur an der Sprachbarriere liegt), wie soll ich den mit realem Gepäck noch mindestens 2 Kilo schwereren Rucksack schultern, meine Kondition ist mäßig, mein durch harte IT-Arbeit verweichlichter Muskelapparat verlangt nach einer Badewanne und Ruhe. Und vor allem: Was zieht mich nach Rom, zum spirituellen Zentrum meines Glaubens? Der Prunk, der Autoritäts-Apparat, der ganze Papstkult erscheinen mir wie Hohn. Dies soll der Nachfolge Jesu  entsprechen?

Dazu wird der Gegenwind aus dem Umfeld nicht geringer. Der Titel von Hape Kerkelings Santiago-Buch "ich bin dann mal weg" erscheint mir immer plausibler. Je mehr ich zu begründen suche, desto tiefer versinke ich in Selbstzweifeln. Denn alle Contra-Argumente erscheinen plausibel - ein sofortiger adäquater Anschlussjob rettet die Stringenz des Lebenslaufs, meine Familie braucht mich jetzt, nutze die freie Zeit für das Gemeinwohl, die Gemeinde braucht Unterstützung. Gerda macht zwar alle Vorbereitungen tapfer mit, aber ihr verweintes Gesicht spricht Bände.

Nur leise dringt da noch die Stimme durch - "wenn Du das nicht jetzt machst, dann wahrscheinlich nie mehr". Letztendlich trägt dieser Gedanke mein Pilgerprojekt und wie im Autopilot-Modus vervollständige ich meine Ausrüstung unter dem Motto "weniger ist mehr". Die schmerzenden Schultern vermiesen mir jedes Gepäckstück und so bleiben alle Bücher (beim Reiseführer mache ich eine Ausnahme) daheim. Hauptproblem bleibt das Schuhthema - die neuen Bergstiefel von Schuhwiedu werde ich wohl nicht den ganzen Tag tragen können, da müssen die ausgelatschten Merrells doch noch mit. Dagegen bleiben Schlafsack, Isomatte und Zelt auch daheim - ich werde Luxuspilger. Die ersten Quartiere sind online erkundet, nur in La Verna gibt es wegen eines Jugendtreffs zur gleichen Zeit keinen Platz für mich. Der Nachtzug nach Florenz passt wunderbar (gut 4 Stunden später wäre er am Ziel meiner ca. 450km-Pilgerreise, ich rechne mit 4 Wochen). Dann mit Lufthansa zurück nach München und voll motiviert und bewusst die nächsten Schritte anpacken. Sagt man so etwas? Ich höre mich schon an wie mein eigener "Coach".


Im lokalen Heimwerkermarkt habe ich mir eine Gartenschere besorgt. Kees Roodenburg, der Autor meines Pilgerführers, empfiehlt derartiges Werkzeug, um etwaiges Gestrüpp auf der zweiten Etappe zu durchdringen. 250 Gramm mehr Gewicht durch dieses Erzeugnis vermutlich fernöstlicher Bauart, doch nicht das Gewicht plagt mich (noch?). Nach meinen deprimierenden Erfahrungen in freier Navigation Richtung heimatlicher Berge lässt mich der Gedanke an solch "extreme" Herausforderungen wie unmarkierte und zugewachsene Wege in unbekannter Region sehr schlecht schlafen.

Sonntag, 20. Januar 2013

Assisi! Rom!

"Der Weg ist das Ziel" - diese originelle Anmerkung schmückt meinen Reiseführer über den Franziskusweg. Die gestrige Nacht durchgegrübelt, wie geht´s weiter. Immer weiter im IT-Job, Vertrieb oder Technik? Bewerben, Outplacement in Anspruch nehmen? Dann die Erkenntnis - "Es geht so nicht weiter. Ich bin dankbar für dieses riesige Stopschild".

Seit Jahren träume ich schon von einer Pilgerreise nach Santiago. Den Jakobsweg zu gehen erschien mir als DIE Gelegenheit - zu entdecken, was Adam wirklich ausmacht, was mir wirklich entspricht. Und die Kraft zu finden, diesen Weg dann auch zu gehen.

Auf der Suche nach Literatur entdeckte ich eine unbekannte Alternative: Von Florenz über Assisi führt der Franziskusweg nach Rom. Auf den Spuren des Franz von Assisi. Der Heilige, der Motiv und Zentrum vieler Taizé-Andachten in meiner Pfarrei war. Nach einigen Stunden Recherche stand für mich fest: Das ist es! Das Leben dieses Mystikers fasziniert mich seit langem, sein radikaler Bruch mit dem Leben als reicher Prinzling, sein Bruch mit den Eltern, seine Bestimmung, auf den Spuren von Jesus nach dem echten Leben zu suchen.



Die Überraschung: Mein Entschluss, allein auf Pilgerreise zu gehen, diesen/m Weg nachzuspüren findet kaum positives Echo. Offenbar klingt sogar für Katholiken die Idee, den Wegen des Franz von Assisi nach Rom zu folgen, abwegig. Eine gute Übung für die ersten selbst bestimmten Schritte nach dem abhängigen Arbeitsleben.

Die nächsten Tage füllen sich mit den Vorbereitungen für die Reise. Doch wie beruhige ich meine Familie? Wie lerne ich in einer Woche italienisch? Und warum spüre ich immer noch keinen Schmerz, wo ist die Angst vor der Zukunft wegen meines Abschiedes von xXx-Software?

Samstag, 19. Januar 2013

Frei zu Gehen

Knapp eine Woche zuvor war ich noch unter vollen Segeln als technischer Berater einer US-Softwarefirma unterwegs. Eine kurze Unterredung mit zwei Managern des Unternehmens - und schon sah die Sache so aus: Wir wollen uns von Ihnen trennen, kein Platz mehr in der Abteilung, kein Platz mehr in der Firma.

Um die Details kümmerte sich die Personalleiterin. Der goldene Handschlag verdiente seinen Namen, dazu freigestellt ab sofort. Warum ich nicht protestierte, keinen Widerstand leistete, weiss ich nicht. Die kalte Art des Abservierens, die belanglosen Worte beim Abschied, der stumme Vorwurf im Blick der wenigen anwesenden Kollegen machte mir den Abschied leichter als gedacht.

Und trotzdem - die obligate Mail zum Abschied geriet trauriger als geplant, farewell, goodbye, man sieht sich immer zweimal im Leben. Fast wunderte ich mich über die aufmunternden und nachdenklichen Antworten.

Und jetzt?

XING-Profil updaten? Neuer Job? Arbeitsagentur? Selbständig machen?

Oder besser erstmal innehalten und in Ruhe klar werden, was nun ansteht?